TEIL 2: Write interesting women – Frauenfiguren in The Last of Us Part II
Das Videospiel „The Last of Us Part II“ hat durch seinen Fokus auf weibliche Figuren und LGBT-Personen für Aufsehen gesorgt. Denn noch immer sind Frauen und queere Menschen als Protagonist*innen bei Games eher die Ausnahme. In dieser Reihe schaut Feline sich an, was die Darstellung von Gender und sexueller Orientierung in „The Last of Us Part II“ besonders macht. In Teil 2 werden einzelne Frauenfiguren genauer analysiert.
Spoiler-Warnung: Dieser Artikel behandelt Plotelemente aller Teile der „The Last of Us“-Reihe. Wenn ihr spoiler-frei spielen möchtet, solltet ihr diesen Artikel also erst im Nachhinein lesen.
Anmerkung: Bei Geschlechterkategorien handelt es sich um ein gesellschaftliches Konstrukt. Das besprochene Spiel gibt mit wenigen Ausnahmen keine expliziten Infos zum Geschlecht der Figuren.
Hier geht es zu Teil 1 der Reihe!
In diesem Teil schaue ich mir einige Schlüsselfiguren von The Last of Us Part II, ihre Charakterzüge und ihr äußeres Erscheinungsbild an. Dabei interessiert mich vor allem, wie diese Figuren mit traditionellen Erwartungen an Weiblichkeit brechen (oder auch nicht).
Ellie

In The Last of Us Part II ist Ellie 19 Jahre alt. Sie ist sehr dünn, hat ein Tattoo am Unterarm und trägt ihre braunen Haare schulterlang. Vor allem das Tattoo verleiht ihr einen „unkonventionellen“ und „rebellischen“ Look, was auch dazu passt, dass Ellie eine queere Figur ist und damit nicht der heteronormativen Mehrheit entspricht.
In Teil 1 von The Last of Us, in Left Behind sowie in Rückblenden in Teil 2 zeigt die 14-jährige Ellie ein „Tomboy“-artiges Verhalten. Sie agiert oft aggressiv und widerspenstig und besteht auf eine Waffe, um sich zu verteidigen (anstatt sich klischee-konform passiv von Joel beschützen zu lassen). Auch die Interessen der jungen Ellie gelten traditionell männlich codierten Themen wie Comics, Dinosauriern und Raumfahrt – wie in Teil 1 dieses Artikels beschrieben, scheinen Genderrollen in der Spielwelt weitestgehend aufgeweicht. Würde man Ellies Figur in Teil 1 von The Last of Us durch einen Jungen ersetzen, würde sich nahezu nichts an dem Spiel ändern – was die Identifikation mit ihr auch für männliche Spieler erleichtert, die einer weiblichen Protagonistin sonst kritisch gegenüber stehen würden.
Zu Beginn von The Last of Us Part II beginnt die 19-jährige Ellie eine romantische Beziehung mit Dina (s.u.), einer anderen jungen Frau aus ihrer Siedlung. Dabei nimmt Dina die aktivere Rolle ein: Sie flirtet mit Ellie, initiiert den ersten Kuss der beiden und zeigt offen ihr Interesse an einer Beziehung mit Ellie. Diese hingegen verhält sich in Dinas Gegenwart eher schüchtern und scheint anfangs zu zweifeln, ob Dina es ernst mit ihr meint – ein deutlicher Kontrast zu dem selbstbewussten Verhalten der jüngeren Ellie. Diese neue Facette ihrer Persönlichkeit verleiht der Figur Tiefe und Glaubwürdigkeit.
Dennoch sehen wir weiterhin auch Ellies aggressive und brutale Seite: Sie schwört, sich bei Abby für deren Mord an Joel zu rächen. In der Rolle von Ellie tötet man als Spieler*in kaltblütig Infizierte ebenso wie menschliche Gegner*innen. Selbst als Abby sie nach einem Kampf zwischen den beiden gehen lässt, findet Ellie keine Ruhe und sucht Abby erneut auf, mit dem Ziel, sie endlich zu töten. Das steht in Kontrast zu Ellies fürsorglicher Seite, die sie in Teil 1 gegenüber Joel und in Teil 2 gegenüber Dina und später auch deren Baby zeigt. Diese gegensätzlichen Attribute machen ihre Figur sehr komplex, wodurch es bis zum Ende spannend bleibt, ob sie Abby tatsächlich töten wird oder endlich den Zyklus der Gewalt beendet.
Ebenso wie Abby (s.u.) trifft Ellie moralisch zweifelhafte Entscheidungen, wie etwa aktiv Gewalt gegen andere auszuüben, ohne dass diese ihr vorher selbst Gewalt angetan oder angedroht haben. Die meisten Videospiel-Protagonist*innen nutzen Gewalt hingegen nur zur Selbstverteidigung, während sie eigentlich ein anderes Ziel verfolgen. Wenn Protagonistinnen wie Ellie und Abby aus eigener Initiative heraus gewalttätig agieren, stellt das immer noch einen Tabubruch dar. Außerdem wird deutlich, dass Ellie durch Joels brutalen Tod traumatisiert ist und unter Flashbacks leidet. Die Gewalt, die sie ausübt, ist nicht ein intrinsischer Teil ihrer Persönlichkeit, sondern eine Folge ihrer Umwelt und den seelischen Schäden, die sie dadurch davonträgt. Gleichzeitig ist Ellie nicht dazu „verurteilt“, sinnlose Gewalt auszuüben, sondern wird vor die Entscheidung gestellt, ein besserer Mensch zu werden (auch wenn man als Spieler*in diese Entscheidung nicht für sie treffen darf). Derartige Geschichten über weibliche Figuren sind immer noch sehr selten, weshalb man Ellies Story durchaus als progressiv bezeichnen darf.
Dina

Dina ist etwa im selben Alter wie Ellie. Sie ist schlank und hat langes dunkles Haar und dunkle Augen. Dina ist ein fröhlicher, humorvoller Mensch und verhält sich selbstbewusst in romantischen Situationen mit Ellie. Wie Ellie ist sie eine fähige Kämpferin.
Während die beiden in Seattle nach Abby suchen, wird Dina immer schwächer und gesteht Ellie schließlich, dass sie von ihrem Exfreund Jesse schwanger ist. Dina und Ellie ziehen zunächst zusammen und kümmern sich gemeinsam um das Baby, doch Ellie bricht erneut auf, um Abby zu suchen, obwohl sie dadurch ihr Leben und ihre Beziehung zu Dina riskiert. Am Ende steht das Haus der beiden leer, was impliziert, dass Dina sich aufgrund dieser Entscheidung von Ellie getrennt hat.
Oft wird fälschlicherweise angenommen, dass bei gleichgeschlechtlichen Paaren grundsätzlich eine Person die „männliche“ Rolle einnimmt und eine Person die „weibliche“. Die Wirklichkeit ist natürlich komplexer, doch in den Medien sehen wir dieses Klischee noch immer häufig, wenn es um die Darstellung von queeren Paaren geht. Zu einem gewissen Grad trifft diese Unterteilung auch auf Ellie und Dina zu – was nicht grundsätzlich schlimm ist, denn natürlich kommt so etwas auch in der Realität vor. Trotzdem wird damit zu bestehenden Stereotypen beigetragen.
Im Vergleich zu Ellie zeigt Dina mehr als typisch weiblich geltende Eigenschaften. Ihre Figur und ihre Mimik sind femininer, sie nimmt gegenüber Ellie die Rolle der „Verführerin“ ein und wird als weniger gewaltbereit als ihre Partnerin dargestellt. Durch ihre Schwangerschaft ist Dina nicht mehr in der Lage, sich mit Ellie weiter durch Seattle zu kämpfen. Dadurch gerät Ellie in die Rolle der Beschützerin, was in unserer Gesellschaft eine traditionell männlich codierte Rolle ist, während Dina in die traditionell weiblich konnotierte passive Rolle verfällt. Diese Rollenverteilung wird weiter betont, als Ellie Dina und ihr Kind zurücklässt, um Abby erneut aufzusuchen. Nicht nur kann Dina Ellie nicht bei ihrer Mission helfen, weil sie ihren Sohn versorgen muss, sie will es auch nicht, weil sie die weitere Fortsetzung der Gewaltspirale und die Gefahr für Ellies Leben ablehnt. Das entspricht traditionellen Gendervorstellungen von weiblich=friedlich und männlich=gewaltbereit.
Dennoch lässt sich die Beziehung von Ellie und Dina nicht vollends in diese Rollenzuteilung pressen. Insgesamt scheinen sie ein sehr gleichberechtigtes Verhältnis zu haben. Ellies zaghaftes Verhalten zu Beginn der Beziehung ist untypisch für ihre „Tomboy“-Rolle, während Dina aktiv um Ellie „wirbt“, was ebenfalls nicht unbedingt als stereotypisch weiblich gilt.
Abby

Abby ist neben Ellie die zweite spielbare Figur in The Last of Us Part II. In Teil 1 des Spiels taucht sie noch nicht auf. Abby ist etwa Anfang Zwanzig, mit langem dunkelblonden Haar, das sie zu einem Zopf geflochten trägt, braunen Augen und einem sehr muskulösen Körperbau mit breiten Schultern und starken Oberarmen.
Zu Beginn von Teil 2 ermordet Abby Joel vor Ellies Augen, um sich dafür zu rächen, dass Joel in Teil 1 Abbys Vater getötet hat. Ellie wiederum schwört sich, Abby im Gegenzug umzubringen.
Abby ist Mitglied der Rebellengruppe „Washington Liberation Front“ (WLF) in Seattle, ebenso wie ihr Exfreund Owen und dessen jetzige Partnerin Mel (s.u.), die ein Kind von ihm erwartet. Zwischen den drei herrscht ein angespanntes Verhältnis, da Mel und Owen beide die von Abby ausgeübte Gewalt gegen Joel verurteilen. Gleichzeitig fühlen Abby und Owen sich trotz Owens Beziehung zu Mel immer noch zueinander hingezogen und schlafen in einer Szene miteinander.
Abbys Charakterdesign ist ein deutlicher Bruch mit der traditionellen Darstellung von Frauen in Videospielen im Speziellen und in den Medien insgesamt. Wenn muskulöse Frauenfiguren überhaupt vorkommen, sind diese in der Regel gleichzeitig sehr objektifiziert, vor allem durch große Brüste und knappe Kleidung. Bei Abby ist dies jedoch nicht der Fall. Außerdem bricht ihre Figur mit dem verbreiteten Klischee, dass Frauen mit einem eher maskulinen Erscheinungsbild meistens lesbisch seien. Ihre Beziehung mit Owen macht deutlich, dass Abby trotz ihres wenig femininen Körpers für einen konventionell attraktiven, heterosexuellen Mann begehrenswert ist.
Auch Abbys Persönlichkeit hat mehrere Facetten: Einerseits ist sie rachgierig und zu extremer Brutalität bereit, etwa wenn sie Joels Todeskampf absichtlich in die Länge zieht. Doch wir erfahren auch, dass sie von dem Tod ihres Vaters und der Gewalt um sie herum traumatisiert ist, sowie dass sie unter Höhenangst leidet. Als Abby sich mit den jugendlichen Seraphites-Aussteiger*innen Yara und Lev verbündet, hinterfragt sie zunehmend die Gewalt beider Gruppen und verlässt schließlich die WLF, um mit Lev nach Kalifornien zu gehen. Abby lässt sich von Lev auch überzeugen, Ellie und Dina gehen zu lassen, anstatt sie zu töten – obwohl Ellie ihrerseits Abby umbringen will. Selbst als Ellie sie erneut aufsucht, lässt Abby sich erst auf einen Kampf ein, nachdem Ellie Lev bedroht. Abby ist somit eine komplexe Figur, die sich im Laufe des Spieles weiterentwickelt. Sie entscheidet sich gegen die Fortführung der Gewaltspirale und für eine fürsorgliche Rolle gegenüber Lev. Dies ist eine Parallele zu Joels Werdegang im ersten Teil, der das gefährliche Leben eines Schmugglers hinter sich lässt, um mit Ellie in die Siedlung in Jackson zu ziehen und für sie zu sorgen.

Mel
Mel ist eine Ärztin und Mitglied der WLF in Seattle. Sie ist eher klein mit einem runden Gesicht, kurzem dunklen Haar und dunklen Augen.
Mel ist in einer Beziehung mit Owen und erwartet ein Kind von ihm. Ihr Beruf kennzeichnet sie als eine fürsorgliche Person. Trotz ihrer Schwangerschaft schont Mel sich nicht unbedingt und geht weiter auf Patrouille, auch wenn Gefahr durch Seraphites und Infizierte droht.
Mel ist schlecht auf Abby zu sprechen, seit diese Joel ermordet hat. Trotzdem schaffen es die beiden Frauen, diese Differenzen etwas widerwillig hinter sich zu lassen. Obwohl nicht explizit gemacht wird, ob Mel von Owens Seitensprung mit Abby weiß, verhält sich Mel danach feindselig gegenüber Abby und verlangt, dass Abby nicht mit ihr und Owen nach Kalifornien kommt.
Mel ist lediglich eine Nebenfigur, die jedoch einen interessanten Kontrast zu Abby bildet. Mels Körperbau und ihre Persönlichkeit sind deutlich traditionell femininer als Abbys (mit Ausnahme ihrer jeweiligen Frisuren). Durch ihre Schwangerschaft nimmt sie zudem die Rolle der (werdenden) Mutter ein, was nach konservativen Vorstellungen als die traditionelle Aufgabe der Frau gilt.
Owens Rolle in dieser Dreiecksbeziehung ist ebenfalls interessant, denn wie Mel verurteilt er Abbys brutale Ermordung von Joel. Er bevorzugt Mel also nicht zwingend als Partnerin gegenüber Abby, weil sie „femininer“ (einfühlsamer und weniger gewaltbereit) ist, sondern weil ihre Persönlichkeit eher seiner eigenen gleicht. Bei Abby und Owen findet also eine Umkehrung typischer Rollenzuschreibungen statt, ohne dass Owen deshalb als „unmännlich“ dargestellt wird. Dies ist ein weiteres Beispiel für die facettenreiche und weitgehend klischeefreie Darstellung der – auch männlichen – Figuren im Spiel.
Fazit: Frauenfiguren in The Last of Us Part II
The Last of Us: Part II präsentiert uns eine Reihe an vielschichtigen Frauenfiguren, die sich deutlich von den sexistischen Genderklischees absetzen, die bis vor einigen Jahren noch in Videospielen vorherrschten. Weder werden die weiblichen Charaktere des Spiels objektifiziert, noch handelt es sich um stereotype „Strong Female Characters“, die keinerlei Schwächen oder Fehler besitzen. Stattdessen dürfen die diversen weiblichen Figuren von The Last of Us Part II moralisch fragwürdige Entscheidungen treffen, mit dem idealen Erscheinungsbild einer attraktiven Frau brechen und sogar queere Beziehungen miteinander haben – in Ellies Fall wohlgemerkt ohne jemals Interesse an einem Mann zu zeigen.
Dennoch ist zu erwähnen, dass eine Dichotomie zwischen den aktiv handelnden, spielbaren Figuren Ellie und Abby auf der einen Seite und den passiveren Nebenfiguren Dina und Mel auf der anderen Seite besteht, die sich mit konservativen Vorstellungen von Gender deckt (männlich=aktiv, gewaltbereit, weiblich=passiv, fürsorglich). Durch die Entscheidung der Entwickler*innen, Dina und Mel beide schwanger sein zu lassen, wird diese Dichotomie verstärkt, da beide Figuren die archaische weiblich konnotierte Rolle der (werdenden) Mutter annehmen. Gleichzeitig übernehmen die eher maskulin konnotierten Ellie und Abby beide gegen Ende der Geschichte – zumindest zeitweise – eine fürsorgliche Rolle für eine jüngere Person (Dinas Sohn JJ bzw. Lev), analog zu Joel mit Ellie in Teil 1. Das Attribut der Fürsorglichkeit bleibt also nicht den überwiegend feminin konnotierten Figuren vorbehalten – selbst Joel, der stereotyp maskuline Protagonist aus Teil 1, weist diese Eigenschaft auf.
Weiterlesen? Hier geht es zu Teil 3 der Reihe: Darstellung von LGBT in The Last of Us Part II
Bildnachweis: Alle Bilder sind eigene Screenshots der Autorin. © Sony Interactive Entertainment.
Feline mag schlechte Wortwitze, queerfeministische Medienkritik und Weißwein. Sie freut sich bereits auf ihr späteres Leben als merkwürdige alte Frau mit sehr vielen Katzen.
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