TEIL 1: Gender in der The Last of Us-Reihe
Das Videospiel „The Last of Us Part II“ hat durch seinen Fokus auf weibliche Figuren und LGBT-Personen für Aufsehen gesorgt. Denn noch immer sind Frauen und queere Menschen als Protagonist*innen bei Games eher die Ausnahme. In dieser Reihe schaut Feline sich an, was die Darstellung von Gender und sexueller Orientierung in „The Last of Us Part II“ besonders macht. In Teil 1 geht es um die Darstellung von Gender in der „The Last of Us“-Reihe.
Spoiler-Warnung: Dieser Artikel behandelt Plotelemente aller Teile der „The Last of Us“-Reihe. Wenn ihr spoiler-frei spielen möchtet, solltet ihr diesen Artikel also erst im Nachhinein lesen.
Anmerkung: Bei Geschlechterkategorien handelt es sich um ein gesellschaftliches Konstrukt. Das besprochene Spiel gibt mit wenigen Ausnahmen keine expliziten Infos zum Geschlecht der Figuren.
Überblick: The Last of Us und Diversität in der Gamingszene
Mit der Veröffentlichung von The Last of Us Part II im Juni 2020 ging für Fans des ersten Teils eine sieben Jahre lange Wartezeit zu Ende. Der 2013 erschienene Vorgänger The Last of Us wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und gilt inzwischen als Videospiel-Klassiker, der vor allem für seine emotionale Story geschätzt wird.
Beide Spiele sind den Genres Action-Adventure und Survival Horror zuzuordnen und spielen in einer postapokalyptischen Welt, in der ein Großteil der Menschheit durch ein Virus in blutrünstige Zombies verwandelt wurde. Die beiden Protagonist*innen des ersten Teils sind der Schmuggler Joel und das 14-jährige Mädchen Ellie, wobei Joel den größten Teil der Zeit die spielbare Figur ist.
The Last of Us Part II: Zwischen Lob und Shitshorm

Bereits vor seiner Veröffentlichung schlug The Last of Us Part II große Wellen in der Gamingszene, als durchsickerte, dass man im zweiten Teil nicht als Joel, sondern stattdessen als zwei verschiedene Frauenfiguren – Ellie und ihre Antagonistin Abby – spielt. Darüber hinaus wird Joel zu Beginn des Spiels von Abby getötet, was ebenfalls viele Fans in Aufruhr versetzte und sogar zu Beleidigungen und Drohungen gegen die Schauspielerin führte, die Abby Stimme und Mimik leiht. Während die kritische Rezeption des Spiels überwiegend positiv war, gab es zahlreiche Negativbewertungen von Nutzer*innen, u.a. wohl mit homofeindlich motiviertem Hintergrund aufgrund der LGBT-Figuren im Spiel.
Videospiele: Steigende Repräsentation von Frauen und queeren Figuren
Die überdurchschnittliche Repräsentation von Frauen und queeren Personen in The Last of Us Part II setzt einen bestehenden Trend zu mehr Diversität fort. Dieser ist in anderen Medien wie Filmen und TV-Serien sogar noch stärker zu beobachten. Die Videospielszene galt lange als Domäne weißer, heterosexueller Männer – in Bezug auf die Spieler*innen, die Mitwirkenden hinter den Kulissen, sowie die vorkommenden Figuren. Dies ist jedoch im Wandel: In Deutschland sind fast die Hälfte aller Gamer*innen weiblich. In den letzten Jahren erschienen vermehrt Blockbuster-Titel mit weiblichen Protagonistinnen wie Horizon Zero Dawn oder Uncharted: The Lost Legacy, und auch in Teil 1 von The Last of Us sowie im Erweiterungsspiel Left Behind ist Ellie als Figur spielbar. Auch die Darstellung von Frauen wandelt sich. Die Mutter aller Videospiel-Heldinnen, Lara Croft, war in den 90ern ein knapp bekleidetes, vollbusiges Sexsymbol. Mit dem Reboot der Tomb Raider-Reihe in den 2010er Jahren erhielt die Figur ein neues, deutlich weniger objektifizierendes Design.
Lara Croft im Look der 90er Jahre … … und im Reboot der 2010er (hier im knappsten verfügbaren Outfit)
Diese positiven Entwicklungen in Ehren – dennoch gehört die Videospiel-Heldin von heute meist dem Typus „Strong Female Character“ an, sprich, sie ist genauso stark, cool und fähig wie ihre männlichen Kollegen und frei von jeglichen Schwächen. Gepaart mit einem konventionell attraktiven Äußeren läuft diese weibliche Figur wenig Risiko, männliche Spieler zu vergrätzen, denn sie setzt die videospieltypische Allmachtsfantasie fort und bietet dabei auch noch was fürs Auge.
Neben der verbesserten Darstellung von Frauen in Games gibt es auch im Bereich LGBT-Repräsentation erste Fortschritte. Zunehmend bieten Spiele die Möglichkeit, als Protagonist*in eine queere Liebesbeziehung einzugehen, etwa in Dragon Age: Inquisition, Assassin’s Creed: Odyssey oder Life is Strange. Diese Entscheidung bleibt wohlgemerkt in der Regel den Spieler*innen überlassen – wer keinen LGBT-Content sehen möchte, musste das bisher auch nicht tun. In dem Erweiterungsspiel The Last of Us: Left Behind gab es jedoch eine – nicht optionale – Kussszene zwischen Ellie und ihrer Kindheitsfreundin Riley. Diese ebnete sozusagen den Weg für die LGBT-Repräsentation in The Last of Us Part II.
Das Setting von The Last of Us: Eine genderlose Welt?

The Last of Us: Left Behind und der Untergang der „Girl World“
Im Erweiterungsspiel Left Behind folgen wir der jugendlichen Ellie und ihrer Freundin Riley, die beide nach dem Ausbruch des Virus geboren sind. Als die beiden nachts zum Spaß in ein leerstehendes Einkaufszentrum einbrechen, gilt ihr Interesse keineswegs Klamotten oder Schminke: Sei es Halloween-Masken anprobieren, sich mit Wasserpistolen jagen oder eine Spielautomatenhalle unsicher machen – so ziemlich alles, was die beiden tun oder sagen, könnte genauso gut von zwei Jungen kommen.

Unsere kapitalistische „Girl World“ aus Make-Up, Mode und Maniküre kennen Ellie und Riley nicht mehr: Kleidung und Frisuren sind zweckmäßig, schminken überflüssig, wenn es ums nackte Überleben geht. Ihr Spielplatz ist damit eine Ruine des Kapitalismus, von dem in The Last of Us nicht mehr viel übrig geblieben ist. Was damit ebenfalls untergegangen zu sein scheint, ist die Besessenheit von Geschlechterkategorien. Denn unser kapitalistisches Wirtschaftssystem bereichert sich an festgelegten Genderrollen und den entsprechend vermarkteten Produkten.
Das beginnt mit der Farbzuordnung von Neugeborenen – und der ganzen Palette an Babybedarf – in „rosa“ und „hellblau“, setzt sich fort mit gegendertem Spielzeug in der Kindheit (Puppe vs. Auto) und wird ab der Pubertät noch verschärft, wenn Mädchen durch Medien und Werbung weisgemacht wird, dass sie sich von nun an zu schminken, rasieren, parfümieren haben.
Einerseits hat dieser Ausbruch aus herkömmlichen Genderrollen etwas befreiendes – und „Tomboy“-Charaktere wie Ellie haben selbstverständlich ihre Daseinsberechtigung. Gleichzeitig fällt es der großen und lautstarken Zielgruppe männlicher Gamer leichter, sich mit einer Protagonistin zu identifizieren, wenn diese sich eher für traditionelle „Jungssachen“ interessiert. Sie müssen sich also weniger mit ihren eigenen, vielleicht unterbewussten Vorurteilen gegenüber „typisch weiblichen“ Dingen auseinandersetzen.
Post-Apokalypse = Post-Gender?
In The Last of Us: Part II treffen wir auf verschiedene Gruppierungen von Menschen: Ellie und Joels Siedlung in Jackson, die WLF („Wolves“) und die Seraphites („Scars“), die einander in Seattle bekämpfen, sowie die Rattlers in Kalifornien. Was alle gemeinsam haben: Menschen sind unabhängig von ihrem Geschlecht gleichermaßen mit der Verteidigung der Gruppe gegen Infizierte und andere Feind*innen beauftragt. In einer derart gefährlichen Welt ist es auch durchaus sinnvoll, dass jedes Mitglied der Gemeinschaft weiß, wie man Angreifer*innen abwehrt. Auch in der Hierarchie der Gruppen ist das Patriarchat offenbar Geschichte: Abby scheint bei der WLF den höchsten Rang nach Anführer Isaac innezuhaben und wird innerhalb der Gruppe mit größtem Respekt behandelt. Die Seraphites haben eine ganze Religion um eine weibliche Prophetin aufgebaut – wobei hier traditionelle Genderrollen weiterhin aufrechterhalten werden (dazu später mehr).

Wie bereits in Left Behind beobachtet ist die in unserer Gesellschaft als weiblich konnotierte Genderperformance durch Attribute wie Make-Up, hohe Schuhe oder figurbetonte Kleidung ausgestorben: Alle Menschen in der Welt von The Last of Us Part II kleiden sich komplett zweckmäßig. Dass Feind*innen unterschiedliche Geschlechter haben, lässt sich in erster Linie aufgrund von Namen oder Stimmen annehmen – über Kleidung wird dies nicht vermittelt. Allein die Seraphites (siehe Bild) schreiben Frauen und Männern jeweils geschlechtsspezifische Frisuren vor – was besonders für die Story der trans Figur Lev von Bedeutung ist –, doch alle sind in den gleichen Ledermänteln unterwegs.
The Last of Us Part II: Jetzt dürfen auch Frauen die Bösen sein
Die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern setzt sich speziell in Teil 2 auch in der Spielmechanik fort. In Teil 1 mussten Joel – und zeitweise Ellie – es bei den nicht infizierten Gegnern noch ausschließlich mit Männern aufnehmen (Infizierte waren schon immer geschlechtlich divers). Im zweiten Teil sind unter den menschlichen Feind*innen nun auch zahlreiche Frauen – was wie bereits erwähnt im Kontext der Postapokalypse durchaus Sinn ergibt. Warum war das aber nicht schon im ersten Teil so? Vielleicht hängt diese Entscheidung der Macher*innen mit dem Gender der Protagonist*innen zusammen. Würde Joel als Figur negativ aufgefasst werden, wenn er regelmäßig Mitglieder des vermeintlich „schwächeren“ Geschlechts töten würde? Am Ende des ersten Spiels bringt er zwar eine Frau um – Marlene – um Ellie zu schützen. Das ist jedoch die Ausnahme und nicht die Regel – zumal diese Szene am Ende vorkommt und deshalb nicht das Bild von Joel während der Spieldauer negativ beeinflusst. Zudem handelt es sich um eine Cutscene, also eine Videosequenz, wo der*die Spieler*in nicht selbst eingreift. Anders als die männlichen Feinde im Spiel muss man Marlene also nicht „eigenhändig“ töten.

Gleichzeitig bedeuten weibliche Gegnerinnen auch, dass der*die Protagonist*in im Kampf von diesen getötet werden kann. Weniger feministisch gesinnte männliche Spieler könnten ein Problem damit haben, wenn ihr Held gegen eine Frau unterliegt. Ist die Protagonistin jedoch weiblich, besteht das Problem nicht im gleichen Maße. Jedoch scheinen sich Videospiele allgemein immer weniger an der Zielgruppe „sexistische männliche Gamer“ zu orientieren. Im 2019 erschienenen Spiel Days Gone, das in einem nahezu identischen Setting wie The Last of Us angesiedelt ist, kann man als männlicher Protagonist durchaus auch weibliche Feindinnen töten, bei denen es sich nicht um Zombies handelt – und ihnen natürlich auch im Kampf unterliegen. Jedoch betont der Protagonist in einer Szene, er würde keine unbewaffneten Frauen töten. Auch hier scheinen die Macher*innen also ein Bewusstsein dafür zu haben, dass das Töten weiblicher Figuren durch einen männlichen Spieler als problematisch gelesen werden könnte.
Obwohl die Welt von The Last of Us extrem gewalttätig ist, kommt eine spezielle Form davon nicht vor: Sexualisierte Gewalt wird in der Spielereihe nahezu gar nicht thematisiert. Lediglich in Teil 1 gibt es einige Szenen zwischen der minderjährigen Ellie und dem Antagonisten David, die so eine Interpretation zwar zulassen, aber nicht explizit machen. Es ist unwahrscheinlich, dass sexualisierte Gewalt in einer postapokalyptischen Welt schlichtweg nicht mehr existierten würde. Insofern ist es wohl als bewusste Entscheidung der Entwickler*innen zu werten, Spieler*innen nicht mit dieser Thematik zu konfrontieren. Immerhin besteht ein ernsthaftes Risiko, dass Überlebende sexualisierter Gewalt durch solche Szenen retraumatisiert werden könnten. Dass Sexualität in The Last of Us nur in beidseitigem Einverständnis vorkommt, trägt dazu bei, dass Frauen als aktiv und empowert erscheinen anstatt, wie sonst so oft, auf Objekte reduziert werden.
Weiterlesen? Hier geht es zu Teil 2: Write interesting women – Frauenfiguren in The Last of Us Part II
Bildnachweis: Alle Bilder sind eigene Screenshots / Bildschirmaufnahmen der Autorin. © Für die Spiele „The Last of Us: Part II“ und „The Last of Us: Left Behind“: Sony Interactive Entertainment. © Für das Spiel „Rise of the Tomb Raider“: Square Enix.
Feline mag schlechte Wortwitze, queerfeministische Medienkritik und Weißwein. Sie freut sich bereits auf ihr späteres Leben als merkwürdige alte Frau mit sehr vielen Katzen.
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