The Wagadu Chronicles: Ein Afrofantasy-Game für mehr Diversität in Videospielen

The Wagadu Chronicles: Ein Afrofantasy-Game für mehr Diversität in Videospielen

Mit „The Wagadu Chronicles“ entwickelt das Berliner Game-Studio „Twin Drums“ zurzeit ein Fantasy-Rollenspiel, dessen Setting von präkolonialen afrikanischen Kulturen inspiriert ist. Wir sprachen mit dem Kopf hinter dem Projekt, dem italienisch-kenianischen Spieledesigner Allan Cudiccio, über seine Inspiration hinter dem Spiel, seine Erfahrungen als queere Person of Color in der Games-Industrie und warum das Fantasy-Genre immer noch ein Rassismusproblem hat.

Triggerwarnung: Dieser Artikel behandelt Rassismus, Homofeindlichkeit und Sexismus.

Über „The Wagadu Chronicles“

„The Wagadu Chronicles“ ist sowohl ein Online-Rollenspiel als auch ein Setting für das Pen-and-Paper-Rollenspiel „Dungeons & Dragons“ (s. u.). Es spielt in dem Fantasy-Reich Wagadu, einer mystischen Zwischenwelt, die als gleichermaßen schön und gefährlich beschrieben wird. Die Charaktere, die sich in Wagadu wiederfinden, müssen sich in einer Welt voller Magie, Geister, Gottheiten, Kreaturen und Rituale bewähren. Wie bei Rollenspielen üblich können Spieler*innen für ihre Figur bestimmte Eigenschaften wählen, wie eine Klasse oder eine Lineage (Abstammung).

Über „The Wagadu Chronicles“

„The Wagadu Chronicles“ ist sowohl ein Online-Rollenspiel als auch ein Setting für das Pen-and-Paper-Rollenspiel „Dungeons & Dragons“ (s. u.). Es spielt in dem Fantasy-Reich Wagadu, einer mystischen Zwischenwelt, die als gleichermaßen schön und gefährlich beschrieben wird. Die Charaktere, die sich in Wagadu wiederfinden, müssen sich in einer Welt voller Magie, Geister, Gottheiten, Kreaturen und Rituale bewähren. Wie bei Rollenspielen üblich können Spieler*innen für ihre Figur bestimmte Eigenschaften wählen, wie eine Klasse oder eine Lineage (Abstammung).

*innenAnsicht: Fangen wir am Anfang an: Was hat dich an der Videospiel-Industrie fasziniert?

Allan Cudicio: Ich habe schon immer Spaß daran gehabt, Erlebnisse für andere Menschen zu erschaffen. Als Teenager habe ich angefangen, „Dungeons & Dragons“-Spiele zu leiten – das war eine sehr prägende Erfahrung für mich, und ich mache es inzwischen seit 20 Jahren. Man kann so starke Geschichten erzählen – und Videospiele eröffnen dafür ganz verschiedene Möglichkeiten. Außerdem liebe ich an Games die Verschmelzung von Musik, Text, visuellen Elementen und Software-Entwicklung – eine wirklich spannende Kombination von unterschiedlichen Disziplinen.

Über „Dungeons & Dragons“

„Dungeons & Dragons“, kurz D&D oder DnD, ist ein sogenanntes „Pen & Paper“-Rollenspiel, das also komplett analog, d. h. ohne Technologie auskommt. Es spielt in einer Fantasywelt, in der Spieler*innen in die Rolle eines selbst erstellten Charakters mit bestimmten Fähigkeiten schlüpfen, z. B. Zwerge, Elfen oder auch Menschen.

Über „Dungeons & Dragons“

„Dungeons & Dragons“, kurz D&D oder DnD, ist ein sogenanntes „Pen & Paper“-Rollenspiel, das also komplett analog, d. h. ohne Technologie auskommt. Es spielt in einer Fantasywelt, in der Spieler*innen in die Rolle eines selbst erstellten Charakters mit bestimmten Fähigkeiten schlüpfen, z. B. Zwerge, Elfen oder auch Menschen.

The Wagadu Chronicles“ wird als Spielwelt für D&D, aber auch als eigenständiges Online-Spiel entwickelt. Welche Idee entstand zuerst?

Im Grunde war es eine parallele Entwicklung. Eine wichtige Rolle spielte dabei das Multiplayer-Onlinespiel „Ultima Online“. Das lief zum Teil über unabhängige Server, bei dem die Nutzer das Spiel nach ihren eigenen Regeln veränderten. Ich war Teil eines solchen Servers, über den wir mit hunderten Leuten gemeinsam dieses Rollenspiel weiterentwickelten. Ich fand das sehr befreiend und unglaublich spannend.

„The Wagadu Chronicles“ bringt zwei Elemente meiner Lebenserfahrung zusammen. Einerseits natürlich meine Blackness und zu einem gewissen Grad auch, dass ich queer bin – ich wollte eine sehr diverse, sehr Schwarze* Fantasy-Welt erschaffen, denn ich liebe die Tradition von großen Welten mit viel Geschichte dahinter wie bei Tolkien [dem Autoren von „Herr der Ringe“, Anm. d. Red]. Andererseits meine Erfahrung mit Rollenspielen, angefangen bei D&D und weiterentwickelt durch „Ultima Online“. Es war für mich der logische erste Schritt, eine Spielwelt für D&D zu erschaffen, aber gleichzeitig war mir immer klar, dass „The Wagadu Chronicles“ auch ein Videospiel sein sollte.

* Hinweis:

„Schwarz“ wird hier großgeschrieben, um auf die Konstruktion von Hautfarben hinzuweisen. Es handelt sich um eine Selbstbezeichnung Schwarzer Menschen und nicht um eine biologische Eigenschaft.
weiß“ ist hier kursiv geschrieben, weil die Bezeichnung in ihrer politischen Dimension auf die Privilegien verweist, die hellhäutige Menschen genießen. White Privilege betrifft nicht nur weiße Menschen, sondern auch white-passing (Menschen, die als weiß gelesen werden) und hellhäutige PoCs.

* Hinweis:

„Schwarz“ wird hier großgeschrieben, um auf die Konstruktion von Hautfarben hinzuweisen. Es handelt sich um eine Selbstbezeichnung Schwarzer Menschen und nicht um eine biologische Eigenschaft.
weiß“ ist hier kursiv geschrieben, weil die Bezeichnung in ihrer politischen Dimension auf die Privilegien verweist, die hellhäutige Menschen genießen. White Privilege betrifft nicht nur weiße Menschen, sondern auch white-passing (Menschen, die als weiß gelesen werden) und hellhäutige PoCs.

Rollenspiele bieten quasi unendliche Optionen, um als Spieler*in die eigene Figur zu gestalten – gleichzeitig ist traditionelle Fantasy überwiegend sehr weiß, wie zum Beispiel die Werke von Tolkien. Spiegelt sich das deiner Meinung nach auch in Spielen wie „Dungeons & Dragons“ wider oder gibt es gerade heutzutage mehr Diversität?

In meiner „Karriere“ als D&D-Spieler konnte ich definitiv eine Entwicklung hin zu mehr Diversität beobachten. Anfangs war das Spiel sehr weiß – das lag am Einfluss Tolkiens auf das Fantasy-Genre. Auch wenn Tolkien die Veröffentlichung von „Der kleine Hobbit“ in Nazi-Deutschland verweigert hat, gibt es rassistische Äußerungen von ihm – in einem Brief beschrieb er die Orks quasi als „hässliche Asiaten“ („degraded and repulsive versions of the (to Europeans) least lovely Mongol-types“, Anm. d. Red.). In „Der Herr der Ringe“ gibt es zum Beispiel die weißen, blonden Elben und im Gegensatz dazu die schwarzen Orks, die eine seltsame, fremd klingende Sprache sprechen. Viel davon ist unterbewusst, aber es ist trotzdem rassistisch. All das ist auch in das System von D&D eingeflossen. In den letzten zehn Jahren haben sich die Leute aber immer mehr davon befreit, haben People of Color oder queere Figuren hinzugefügt … Aber für mich ist und bleibt das trotzdem nur ein „Hack“. Du veränderst das System so, dass es für dich passt. Bei der Entwicklung von „The Wagadu Chronicles“ hingegen haben wir das bestehende System komplett platt gemacht, um etwas ganz Neues zu bauen. Ein Beispiel: Bei den Göttern der Spielwelt habe ich genau darauf geachtet, dass es nicht mehr männliche Götter gibt als andere Geschlechter. Eines der Völker [bei „The Wagadu Chronicles“ heißen diese „lineages“ anstatt wie bei D&D „races“, Anm. d. Red.] wurde von einem lesbischen Paar gegründet, bestehend aus dem Geist eines Rehs und einer Königin. Während man sich bei traditioneller Fantasy immer mit dieser althergebrachten rassistischen Tradition auseinandersetzen muss, haben wir uns sozusagen entschieden, den Reset-Knopf zu drücken.

Eine Zeichnung von einem afrikanisch inspirierten Fantasy-Dorf. Vor einigen Hütten steht eine Person vor einem gnuartigen Rind
Concept Art für „The Wagadu Chronicles“, © Twin Drums

Den von dir angesprochenen Trend, People of Color oder queere Charaktere zu einer bestehenden Welt hinzuzufügen, sieht man momentan in vielen Franchises. Es wird aber fast nichts Neues erschaffen, denn es gilt als finanziell sicherer, mit existierenden Geschichten und Figuren zu arbeiten.

Auf jeden Fall. Dieses Vorgehen nennt man auch „tokenism“. In diesem Sinne, selbst wenn man in „The Wagadu Chronicles“ Schwarze Personen durch weiße ersetzen würde, könnte man immer noch klar erkennen, dass es „Wagadu“ ist. Bei Fan-Art für D&D oder andere Fantasy-Stoffe, die diversere Figuren zeigt, z. B. eine Schwarze Frau in glänzender Rüstung, sieht das Ergebnis immer noch sehr westlich aus. Aber hast du jemals afrikanische Rüstungen gesehen? Ja, es gibt afrikanische Rüstungen, afrikanische Königreiche, die auf Pferden in den Krieg gezogen sind, es gab Ritter und Tempel … Leider haben die meisten Leute das noch nie gesehen. Es steht nicht in den Geschichtsbüchern, selbst in Afrika, wegen des Kolonialismus. Das ist der wahre Grund. Viele dieser Kulturen wurden unterdrückt. Viele Afrikaner*innen haben keine Ahnung, wie ihr eigenes Land oder ihre Hauptstadt vor 200 Jahren aussahen. Die Kolonisator*innen aus Großbritannien und Frankreich kamen, zerstörten alles, wieder und wieder, und bauten es in ihrem eigenen Kolonialstil wieder auf und schrieben die Geschichte neu. Das ist bis heute ein großes Thema. So oft werden afrikanische Sprachen, Religionen etc. noch immer an den Rand gedrängt und aktiv diskriminiert. Wenn man z. B. sagt, dass man nicht christlich ist, dass man an die traditionellen Gottheiten seiner Vorfahr*innen glaubt, würde man in den meisten afrikanischen Ländern diskriminiert werden. Man würde entweder als Prolet*in angesehen oder noch schlimmer –als jemand, der dem Teufel huldigt. Wir kämpfen also einen Kampf auf zwei Seiten: Auf der einen Seite gibt es den Kolonialismus an sich, der immer noch von vielen afrikanischen People of Color aufgesogen wird, und dann gibt es den weißen Westen und die ganze Homophobie, die durch den Kolonialismus verbreitet wurde, und ich glaube, deshalb hat „The Wagadu Chronicles“ so großen Anklang gefunden. Die Leute haben sich gedacht: Das ist mal etwas anderes.

Wie war denn das Feedback für euer Projekt bisher, in den sozialen Medien und allgemein?

Ich hatte schon erwartet, dass ein paar Leute es interessant finden würden [lacht]. Als ich den ersten Thread auf Twitter dazu erstellt habe, habe ich auf vielleicht 200–300 Likes und 50 Shares gehofft. Tatsächlich gab es tausende Shares und über eine halbe Million Impressions, also Nutzer*innen, die den Thread gesehen haben. Das war eine starke Bestätigung für mich, und auch ein sehr emotionales Erlebnis. Viele People of Color fühlten sich persönlich davon berührt – dass es eine Welt ist, die wirklich von uns inspiriert ist. Vor allem Afrikaner*innen, aber auch Amerikaner*innen, Koreaner*innen, Brasilianer*innen. Und Menschen, die keine People of Color sind, haben gemerkt: Das ist etwas wirklich Schönes, wir sehen hier eine neue Farbe des Regenbogens.

Kam dir die Idee für das Spiel während deiner Recherche über das präkoloniale Afrika oder hattest du die Idee zuerst und hast dich dann mehr mit dem Thema befasst?

Es war eher fließend. Ich interessiere mich schon seit einer Weile immer mehr für das präkoloniale Afrika. Ich hatte einfach das Gefühl, eine Wissenslücke zu haben. Und ich finde verschiedene Kulturen allgemein sehr spannend – ich habe z. B. viel über japanische oder vietnamesische Kultur gelesen. Aber was meinen eigenen Kontinent betrifft: Ich bin glücklich, Halb-Afrikaner zu sein, aber der afrikanische Teil von mir ist so schwer zu finden. Und das hat mich neugierig gemacht: Warum ist das so schwierig? Und dann wurde mir klar, dass sozusagen die Reinkarnation des Kolonialismus darum kämpft, diese Kulturen weiter zu unterdrücken. Also habe ich meinen Fokus stärker auf dieses Thema gelegt, und heute besteht der Großteil meiner Recherche daraus. Und als ich mir ein neues Setting ausdenken musste, fühlte es sich einfach natürlich für mich an. Ich hatte auch das Gefühl, dass es bisher niemand [im Fantasy-Genre, Anm. der Red.] richtig gemacht hat. Es gab Versuche, aber das war immer dieses Klischee der „Wilden“, die permanent nackt und wütend sind. Wenn man jedoch vor mehreren hundert Jahren ein Königreich in Südnigeria besucht hätte, hätte man einen sehr kultivierten Ort mit fortschrittlicher Handwerkskunst vorgefunden. Frobenius, ein bekannter deutscher Forscher, fand im frühen 20. Jahrhundert einige Bronzen in Südnigeria und glaubte, dass es dort eine asiatische oder griechische Kolonie gegeben haben musste. Er konnte sich nicht vorstellen, dass dies das Werk von Schwarzen Menschen war.

Wie du angemerkt hast, ist durch die Unterdrückung im Kolonialismus viel geschichtliches Wissen über Afrika verloren gegangen. Wie hat das deine Recherche beeinflusst? Auf welche Hindernisse bist du gestoßen?

Das größte Hindernis ist der Mangel an einfach zugänglichem Material. Wikipedia ist für mich z. B. ein sehr einfaches Beispiel dafür, wie rassistisch das Internet und unsere Gesellschaft sind, gerade wenn es um Geschichte geht. Wenn man über die Geschichte von Mecklenburg recherchiert, findet man eine Menge, aber wenn es um eines der größten Reiche in Nigeria geht – darüber gibt es so gut wie nichts. Dann muss man auf Bücher zurückgreifen, und akademische Werke sind oft hinter einer Paywall. Viele Themen sind zudem nicht besonders gut erforscht. Was für mich mit am schwierigsten war, sind alltägliche Gegenstände oder Kleidung. Es gibt hier in Berlin z. B. das „Museum der Dinge“. Dort kann man Alltagsgegenstände der letzten 100 Jahre aus Berlin sehen, wie Besteck, Spielzeug etc. Solche Sachen für Afrika zu recherchieren ist extrem schwer, denn vieles wurde einfach als „primitiv“ angesehen. Es gibt wunderschöne Bestecke aus dem 19. Jahrhundert, mit eingravierten Motiven, aber es ist nur noch sehr wenig übrig. Viel ist verloren gegangen. Im Kolonialismus wurden viele kulturell bedeutende Gegenstände vernichtet. Man stelle sich vor, jemand wäre nach Europa gekommen und hätte Paris und Rom niedergebrannt – es wäre schwierig für Europäer*innen, ihre eigene Geschichte zu kennen.

Eine Zeichnung von einem maskierten Fantasy-Wesen, das sich wie ein Berg vor einigen menschlichen Figuren erhebt
Concept Art für „The Wagadu Chronicles“, © Twin Drums

Bist du bei deiner Recherche über präkoloniale afrikanische Kulturen auch auf frühzeitliche queere Repräsentation gestoßen?

Jede Menge sogar! Ein Beispiel: Meine Großmutter kommt aus Südghana, und für „Oh mein Gott!“ sagt sie immer „Ataa-Naa“ – das ist der Name für „Gott“ in der Sprache ihres Volkes, der Ga. Sie selbst ist Christin und geht in die Kirche, und das Wort wurde einfach von der Kirche für den christlichen Gott übernommen. Und dann habe ich in einem Buch über die Geschichte und Kultur Südghanas gelesen, dass der Gott der Ga bigender, also zweigeschlechtlich, ist! „Ataa-Naa“ steht für „Großmutter – Großvater – Gott“. Also nannte meine Oma ihren christlichen Gott immer so, obwohl das christliche Weltbild sehr männlich und patriarchal geprägt ist. Und ich habe erfahren, dass es in Südghana ein Pantheon mit fünf Gottheiten gibt, und eine davon ist eine Frau! Und diese Göttin war auch eine Kriegerin, die mit Waffen gekämpft hat. Überhaupt, das ganze Konzept von Gender ist sehr unterschiedlich. Viele afrikanische Sprachen, u. a. in Ghana, kennen kein Geschlecht. Des Weiteren gibt es traditionelle Rituale, wo das Gender während des Rituals selbstgewählt wird. Und es gab über den gesamten Kontinent hinweg auch immer homosexuelle Beziehungen. Eines der bekanntesten Beispiele hierfür ist der König eines ugandischen Königreichs, der sowohl männliche als auch weibliche Konkubinen hatte. Das war vor nicht einmal einem Jahrhundert. Die Christ*innen und Muslim*innen kamen, um ihn zu konvertieren. Sie wollten, dass er keine männlichen Liebhaber mehr habe, und darüber gab es einen riesigen Streit. Heutzutage sind die Leute dort sehr homofeindlich. Aber früher liebte der König dort Männer und Frauen, und es gab keinen Unterschied für ihn.

Wie siehst du Themen wie Rassismus, Sexismus und Homophobie in der Gaming-Branche? Lange galt die Gamer-Szene ja als vorwiegend weiß, männlich und heterosexuell. Doch immer mehr marginalisierte Gruppen spielen heutzutage Videospiele und verlangen, darin auch repräsentiert zu werden. Wird die Industrie insgesamt diverser?

Ich glaube, die Gaming-Branche ist nach wie vor von sogenannten „Bro-Grammern“ dominiert. Diese Kultur hat ihren Ursprung im Silicon Valley. Es ist faszinierend, denn bis in die 1960er-Jahre galt programmieren als Frauenaufgabe, etwas für Sekretärinnen. Die besten Programmiererinnen der 50er und 60er waren Frauen. In den 70ern wurde es dann in „Engineering“ umbenannt und bekam ein neues Image. Aus 90% Frauen wurden 90% Männer. Leider war Gaming damals sehr programmierlastig; es ging nicht so sehr um visuelle Kunst oder Musik. Auch das Marketing war entsetzlich. Es gibt ein sehr cooles Pinterest-Board von einem in Berlin lebenden Spieleentwickler, Anjin Anhut. Er sammelt dort Videospiel-Werbeanzeigen aus den 70ern, 80ern und 90ern und es ist schockierend. Nur Frauen mit großen Brüsten, oder nackte Frauen, die für ein Spiel werben, das nichts mit Frauen zu tun hat. Zum Glück ändert sich das gerade. Ein wichtiger Faktor dabei war die mobile Revolution. Frauen fühlen sich oft nicht willkommen, wenn sie in ein Geschäft gehen, um eine PlayStation zu kaufen. Da stehen dann Typen, die sich fragen: Was macht die denn hier?

Ich habe auch schon seit der Kindheit Computerspiele gespielt, aber trotzdem kam mir bis vor ein paar Jahren nie der Gedanke: Ich kaufe mir jetzt eine PlayStation und werde Gamerin. Das haben Mädchen halt einfach nicht gemacht.

Ja, leider gilt das als ein Männerding. Und Handys brechen diese Barriere, weil jede*r ein Handy hat und es so einfach ist, sich Spiele runterzuladen, die auch oft kostenlos sind. Ich habe an vielen Spielen wie „Candy Crush“ mitgearbeitet, die hauptsächlich von Frauen gespielt wurden. Auch von älteren Frauen in ihren 50ern und 60ern, das war das Hauptpublikum. Ich kenne Großmütter, die viel mehr Stunden mit Spielen verbringen, als man denken würde und wirklich gut darin sind und sehr viel Wetteifer zeigen.

Stimmt, meine Mutter ist genauso mit „Candy Crush“ …

Wahrscheinlich ist deine Mutter eine Hardcore-Gamerin! Sie würde sich selber nicht so bezeichnen, aber es stimmt trotzdem. Das ändert sich also definitiv. Ein anderer Faktor ist die Technologie, mit der man Spiele entwickelt. Diese ist viel einfacher geworden. Spiel-Engines wie „Unity“ oder auch „Unreal“ (zu einem gewissen Grad) haben die Spieleentwicklung sozusagen demokratisiert. Vor 10–15 Jahren brauchte man ein großes Team, um selbst ein relativ kleines Spiel zu entwickeln. Jetzt bauen wir ein Online-Rollenspiel mit zehn Personen und ein paar Freiberufler*innen. Das wäre vor zehn Jahren undenkbar gewesen. Und das heißt für Minderheiten – Frauen, People of Color, queere Menschen – dass es für uns weniger Hindernisse gibt, um uns durch Games auszudrücken. Selbst eine einzelne Person kann heute ein Spiel entwickeln. In der Industrie sehe ich in den Büros der Mobile-Gaming-Firmen heute viel mehr Frauen. Immer noch nicht genug, aber es ändert sich langsam.

Wie hast du das Team für „The Wagadu Chronicles“ gefunden und wie ist der Entwicklungsprozess?

Es gab am Anfang einen interessanten Vorfall: Ich arbeitete damals mit einem Künstler zusammen, der ebenfalls Schwarz war wie ich. Nach über acht Monaten bemerkte er, dass ich schwul war und verließ das Projekt. Das war ein Wendepunkt, denn mir wurde klar, dass das sichtbarer sein sollte. Man lebt in dieser Berliner Blase und gewöhnt sich daran. Aber selbst sehr offene Schwarze Menschen, die Englisch sprechen oder im Ausland leben, können trotzdem homofeindlich sein. Das kommt sogar recht oft vor. Jedenfalls hatte ich Glück und traf Iga über D&D, da ich auch ein D&D-Spiel im Wagadu-Setting durchführe. Sie fand es toll und sie ist eine großartige Künstlerin. Also schlug sie vor, einzuspringen und mir zu helfen – und jetzt ist sie unsere Hauptkünstlerin. Es war wirklich ein Segen, denn sie bringt eine weibliche Perspektive mit. Der Großteil unserer bisheriger Concept Art für das Spiel zeigt Frauen, und das war keine bewusste Entscheidung. Es passiert einfach, weil sie gerne andere Frauen zeichnet und ich würde das niemals in Frage stellen. Ich finde es toll, und wenn das Team nur aus mir und einem anderen Typen bestehen würde, auch wenn ich queer bin, wäre ich wahrscheinlich nicht auf die Idee gekommen, hauptsächlich Frauen zu zeigen.

Die Crowdfunding-Kampagne zu „The Wagadu Chronicles“ läuft bis 31. Oktober. Hier könnt ihr das Projekt unterstützen: https://www.kickstarter.com/projects/wagadu/the-wagadu-chronicles

Alle Bilder © Twin Drums

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