Unbezahlte Care-Arbeit: Warum sollte das jemand tun?

Unbezahlte Care-Arbeit: Warum sollte das jemand tun?

Die aktuelle Wirtschaftskrise, ausgelöst durch die Corona-Pandemie, zeigt deutlich auf, was Feminist*innen und Expert*innen aus Wirtschaft und Sozialem seit Jahren befürchten: Die Ungleichheit zwischen den Klassen und Geschlechtern spitzt sich zu. Der Ökonom Anthony Atkinson hat in seinem Buch „Ungleichheit – und was wir dagegen tun können“ eine Vielzahl an Möglichkeiten vorgeschlagen, wie man der ungleichen Verteilung von Vermögen in der Bevölkerung entgegenwirken kann. Eine davon ist eine Beschäftigungsgarantie, bei der der Staat als Arbeitgeber fungiert, quasi eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Ich habe mir darüber Gedanken gemacht, wie es wohl wäre, wenn Menschen, die unbezahlte Arbeit leisten – vor allem die überwiegend von Frauen ausgeübte Care-Arbeit – dafür bezahlen würden.

Frauen in der Krise

Durch die aktuelle COVID-19-Pandemie sind vor allem Frauen betroffen. Das wird von verschiedenen Instituten bestätigt. Die Hans-Böckler-Stiftung zum Beispiel führte eine Umfrage durch, wie sich in der Corona-Krise die Arbeitsaufteilung in heteronormativen Familien gestaltet. Im Ergebnis zeigt sich, dass vor allem die Mütter den Ausfall der Betreuungsangebote der Kinder kompensieren. Nur 60 Prozent der Paare, die sich vor der Krise die Sorgearbeit gleichmäßig aufgeteilt haben, führen diese Aufgabenteilung auch während der Krise durch. Dabei übernehmen nach Angaben der befragten Männer 30,7 Prozent der Frauen die alleinige Care-Arbeit. Die Stiftung äußert hier klar die Befürchtung einer „Re-Traditionalisierung“, also die absolute Abhängigkeit der Frau von ihrem Mann.

Doch nicht nur dadurch haben Frauen enorme Nachteile: Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit stiegt die Arbeitslosenquote im Mai 2020 auf 6,1 Prozent an. In Kurzarbeit gingen 1,06 Millionen Menschen zusätzlich. Das fehlende Geld muss durch die Beantragung von Hartz IV (SGB II) ausgeglichen werden. Hier verzeichneten die Jobcenter einen fünffachen Anstieg des Monatsdurchschnitts.

Dies betrifft vor allem Frauen in Haushalten mit geringem Einkommen. Denn in Haushalten mit Einkommen bis 2.000 Euro mussten 32 Prozent der Frauen ihre Arbeitszeit reduzieren (19 Prozent der Männer), in Haushalten mit Einkommen bis 3.200 Euro sind es 24 Prozent (15 Prozent der Männer). Zum Beispiel trifft die Krise insbesondere die Gastronomie und die Touristikbranche. Überdurchschnittlich viele Frauen sind in diesen Bereichen tätigt und entsprechend von den Auswirkungen der Krise betroffen. Im Vergleich zum Vorjahr kamen im Dienstleistungssektor 13.000 und im Handel 20.000 Arbeitslose hinzu, im Gastgewerbe waren es sogar 33.000 Menschen (Bundesagentur für Arbeit). Es kann vermutet werden, dass Akademikerinnen weniger davon betroffen sind, weil sie oft auch von zu Hause aus arbeiten können, während dies in vielen anderen Berufen nicht möglich ist.

Die Krise macht noch einmal deutlich, was sich seit Jahren abzeichnet und wogegen Frauen seit Jahrhunderten kämpfen: Die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern verfestigen sich.

Care-Arbeit vergüten

Für Atkinson ist gerade die Erwerbslosigkeit ein wichtiger Ansatz, wobei bedacht werden muss, dass die Erlangung eines Arbeitsplatzes von Jahr zu Jahr schwieriger wird. Viele Menschen arbeiten in Teilzeit oder geringfügiger Beschäftigung, was eine Form von Unterbeschäftigung darstellt. Er geht davon aus, dass die Menschen das nicht freiwillig tun, sondern aufgrund von Schwierigkeiten bei der Auffindung einer Vollzeitbeschäftigung quasi dazu gezwungen werden. Hinzu kommen die Beschäftigten in unterbezahlten Praktika und unbezahlten Tätigkeiten. Daher sollte der Staat eingreifen und in Arbeitsbeschaffungsprogramme investieren, die den Arbeitslosen einen garantierten öffentlichen Arbeitsplatz zu einem Mindestlohn zur Verfügung stellen. Atkinsons Ziel ist eine Vollbeschäftigung von 35 Stunden pro Woche.

Zu den unbezahlten Tätigkeiten zählt auch die Care-Arbeit. Die Internationale Arbeitsorganisation gab letztes Jahr an, dass Frauen durchschnittlich 4,5 Stunden täglich kostenlos arbeiten. Ein halber Arbeitstag, der nicht vergütet wird. Deswegen arbeiten Frauen überdurchschnittlich in Teilzeit und erhalten dadurch weniger Lohn. Der Tag hat nun mal nur 24 Stunden. Wenn man dies berücksichtigt, werden rund 43 Prozent der Gesamtarbeitszeit nicht vergütet. Eine möge sich einmal vorstellen, der Arbeitgeber kürze einfach mal einen halben Lohn bei gleicher Arbeitszeit. Es muss also dringend ein Ausgleich geschaffen werden, um Frauenarmut und Altersarmut von Frauen zu reduzieren. Da scheint der Vorschlag von Atkinson sehr passend.

Eine stelle sich vor, jede Frau bekäme die 4,5 Stunden pro Tag mit einem Mindestlohn vergütet, der derzeit bei 9,38 Euro in Deutschland liegt. Aber wer soll das bezahlen? Der Staat: im Rahmen der Arbeitsbeschaffungsprogramme. Natürlich müssten dafür die Ausgaben für Arbeitsbeschaffung erhöht werden. 2010 lagen diese Ausgaben in Deutschland unter 0,05 Prozent des BIP (Atkinson, 2015, S. 185). 2012 wurden Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gänzlich abgeschafft.

Ist Gleichheit überhaupt gewollt?

Ohnehin bekleckert sich die Bundesregierung nicht gerade mit Ruhm im Kampf gegen diese Ungleichheit. Man betrachte nur einmal das neue Konjunkturpaket, das die arme Wirtschaft aus der Krise holen will. Die Bedarfe der Frauen werden kein Stück mitberücksichtigt. Ja, einige der milliardenschweren Maßnahmen kommen auch Frauen zu Gute, jedoch eher unbeabsichtigt. Zum Beispiel durch Zuschüsse zur Sozialversicherung, die ja nicht nur Frauen betrifft, sondern alle Menschen. Auch die Auszahlung von einmaligen Beträgen an Familien hilft nur kurzfristig bis gar nicht. Eine Alleinerziehende auf Hartz IV wird von 300 Euro eher überfällige Rechnungen bezahlen, als schick shoppen zu gehen. Viel eher hätte geholfen, die Regelsätze der Grundsicherung anzuheben, und zwar so, dass bei den Bedürftigen auch was ankommt. Jede Kindergelderhöhung wird auf den Regelsatz angerechnet, sodass Empfänger*innen von Hartz IV rein gar nichts davon haben. Immerhin dürfen die Eltern die 300 Euro diesmal wirklich für sich ausgeben – oder die Heizkostenabrechnung bezahlen.

Das Konjunkturpaket ist absolut darauf ausgelegt, die Wirtschaft zu unterstützen. Darunter versteht die Regierung, mehrere Milliarden direkt in (marode) Unternehmen zu pumpen, anstatt wirklich da anzusetzen, wo die Wurzel des Übels liegt. Dabei ist die Rechnung doch ziemlich einfach: Wer mehr Geld hat, konsumiert auch mehr. Gebt den Bürger*innen Geld und sie stecken es in Konsumgüter, damit würde nicht nur die Wirtschaft befriedigt, sondern auch noch die Bevölkerung. Immerhin sind ja Milliarden für Unternehmen da, das hätte man doch einfach umverteilen können. So wie es aussieht, ist das aber gar nicht von der Regierung gewollt. Stattdessen werden Unternehmen unterstützt, die ihre Mitarbeitenden in Kurzarbeit schicken, aber ihren ohnehin stinkreichen Aktionär*innen horrende Dividenden ausschütten. Für Bürger*innen wird kaum etwas getan, jedenfalls nicht für die, die es nötig hätten. Dafür gibt es Rabatte beim Kauf eines E-Autos, das sich sowieso kein normalsterblicher Mensch leisten kann, geschweige denn von Kurzarbeit Betroffene.

Die Regierung hatte mit dem Konjunkturpaket eine Chance, die Lücke zwischen den Klassen und Geschlechtern zu verringern, den Schaden, den die Krise in den Haushalten angerichtet hat, aufzufangen. Nichts davon hat sie getan.

Der Reiz der unbezahlten Arbeit

Vielleicht kann mir mal jemand aus der Regierung erklären, warum ich Arbeit machen sollte, für die ich nicht bezahlt werde? Ich meine, Haushalt, Kochen, Kinder bespaßen, Kloputzen, sind alles Dinge, zu denen ich weder Lust noch Zeit habe, aber trotzdem machen muss, weil sonst mein Haushalt in Flammen aufgeht. Ihr glaubt gar nicht, wie viel Nerven mich allein das Homeschooling gekostet hat. Dabei sind meine Kinder dem Lernstoff absolut gewachsen. Aber allein die tägliche Diskussion darum, dass Hausaufgaben gemacht werden müssen, hat mich viel Kraft gekostet, die ich lieber in geldbringende Projekte gesteckt hätte. Wenn sich das Pubertier einfach weigert? Was willst du da tun? Jugendliche sind nicht dafür bekannt, langfristig vorausschauende Entscheidungen zu treffen.

In jedem Ratgeber für Unternehmer*innen steht klipp und klar: Kein Geld – keine Leistung. Jede Firma stellt sofort die Arbeit ein, sollten Kund*innen nicht zahlen. Das ist Marktwirtschaft. Wieso sollte ich also den gesamten Haushalt zu verantworten haben, satte 4,5 Stunden täglich dafür aufbringen, wo ich stattdessen in der Zeit tatsächlich Geld verdienen könnte? Wieso? Ja, es ist schön ein sauberes Haus zu haben. Aber mit dieser Argumentation könnte ich auch sagen: Ist doch schön, wenn es der Firma gut geht, warum sollte sie dich für deine Arbeitskraft bezahlen? Niemand arbeitet umsonst.

Natürlich stellt sich manch einer Person die Frage, warum Care-Arbeit plötzlich vergütet werden sollte. Immerhin ist eine*r selbst für den eigenen Haushalt verantwortlich und das hat die letzten Jahrhunderte auch geklappt. Das jedoch waren völlig andere Parameter. Ich möchte auch einmal auf den Umstand aufmerksam machen, dass wir nicht auch noch die nächsten Jahrhunderte ein Modell fahren müssen, mit dem wir zwar lange Erfahrung haben, das aber darauf aufgebaut hat, die Rechte einer bestimmten Gruppe der Bevölkerung enorm einzuschränken. Eine Gesellschaft entwickelt sich und mit ihr müssen sich auch Verhaltensweisen anpassen und vor allem Einstellungen und Sichtweisen. Wir rechnen heute also mit vollkommen anderen Faktoren als noch vor 100 Jahren. Dazu gehört auch, zu berücksichtigen, dass (vor allem in heteronormativen) Beziehungen meistens die Frauen die Care-Arbeit übernehmen, um ihren Männern Vollzeittätigkeiten zu ermöglichen. Täten sie das nicht, müssten Männer ihre Stunden reduzieren, um ihren Teil der Care-Arbeit zu leisten. Das würde weniger Gehalt und vor allem weniger Karrierechancen bedeuten. Und mehr Stress. Es gibt schließlich kein Gesetz, dass Frauen diese Arbeit „naturbedingt“ erledigen müssten. Das könnten Männer genauso gut. Daraus lässt sich schließen, dass Care-Arbeit systemrelevant ist. Warum sollte also systemrelevante Arbeit nicht vergütet werden?

Natürlich, der Staat ist total arm dran und kann sich sowas nicht leisten. Man sieht es am Konjunkturpaket, wo die Prioritäten liegen. Aber auch dafür habe ich eine Lösung: das bedingungslose Grundeinkommen. Jeder Mensch ab dem 18. Lebensjahr könnte monatlich einen Betrag in der Höhe eines Halbtagsjobs auf Mindestlohnbasis ausgezahlt bekommen. Das hätte viele Vorteile. Zum einen könnten viele Menschen studieren, ohne sich Sorgen um ihre finanzielle Absicherung machen zu müssen. Dies würde insbesondere jungen Erwachsenen aus finanziell schlechtergestellten Haushalten helfen, ihre beruflichen Qualifikationen zu verbessern und sich als Fachkraft auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten. Immerhin jammern doch alle über Fachkräftemangel. Und auch Familien profitieren davon, indem sie eine grundlegende Absicherung haben, insbesondere Ein-Eltern-Familien. Atkinson geht in seinem Buch sogar noch weiter. Er schlägt für jede Person, die das 18. Lebensjahr erreicht, eine Summe von 10.000 Euro vor, damit dieser einen guten Start ins Erwachsenenleben ermöglicht wird. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre auf Dauer jedoch nachhaltiger.

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