Milf oder Missy: Ich bin pissy.

Milf oder Missy: Ich bin pissy.

„Milf“ ist immer noch kein Kompliment, egal wie die Verpackung ausschaut.

Joyn ist ein Streamingdienst, mit dem ihr die Sendungen verschiedener Fernsehsender schauen könnt. Ich, die seit Jahren keine TV-Sendungen mehr schaut, fragt sich da, warum sich das jemand überhaupt freiwillig antun sollte. Nicht nur, dass viele Sendungen vom Fremdschämfaktor geprägt sind, sie setzen bei mir auch ungeahnte Aggressionen frei, weil sie rassistisch, sexistisch, ableistisch und was weiß ich nicht noch alles sind. Und das auf über 50 Sendern. So auch diese Sendung, die sich „Milf.Oder.Missy“. nennt … oder nannte, weil der Titel einen derartigen Shitstorm an Empörung auslöste, dass sich die Produzenten vom Titel distanzieren mussten. Überraschung: Jetzt heißt die Show einfach nur M.O.M. Eigentlich wollte ich nur darüber schreiben, dass „Milf“ kein Kompliment ist, bei der Recherche bin ich dann aber auf noch so viel mehr gestoßen.

Liebe kennt kein Alter

Das Format ist eine der üblichen Dating-Shows, in denen ein Kerl zwischen einem Haufen Frauen auswählen kann, zum Beispiel wie beim Bachelor. Viele Menschen kritisieren bereits seit längerem diese Art des Formats, weil es Personen zu Objekten macht und ein falsches Bild von Liebe, Dating und Beziehungen vermittelt.

In der neuen Dating-Show „M.O.M.“ wird dies noch auf die Spitze getrieben. Zum einen gibt es hier zwei Männer (Junior und Senior), um die die Kandidatinnen kämpfen müssen, zum anderen wird das Alter der Personen als zusätzlicher Faktor eingefügt. Sowohl die Männer als auch die Frauen befinden sich in unterschiedlichen Lebensabschnitten zwischen 24 und 57 Jahren. Dabei werden die Frauen im Alter von 37 bis 46 als „Milfs“ bezeichnet, die jüngeren Frauen im Alter von 24 bis 27 als „Missys“. Der geringste Altersunterschied zum älteren männlichen Kandidaten beträgt demnach 11 Jahre. Na, Hauptsache, die älteste Kandidatin ist immer noch mit Abstand jünger als der „Senior“.

Aber Liebe kennt kein Alter. Und offenbar gibt es sie auch fast nur unter Weißen. In dem Cast für die erste Staffel von M.O.M. befindet sich gerade eine einzige Person of Colour. Die darf sogar im Promo-Video was sagen. Die Teilnehmerinnen sind super schlank, super schön und super weiß – mal abgesehen von Solariumbräune, man will ja nicht käsig aussehen. Aber vielleicht sind nicht-weiße Personen einfach schlauer und haben sich erst gar nicht auf dieses Format gemeldet?

Frauen schrumpeln. Männer auch?

Auf ihrer Website beschreibt Joyn ihre Show wie folgt: „A 57-year-old man dating a woman in her early 20s…no big deal. But what about a mature woman going out with a much younger guy? Are money and experience more attractive than youth and a sexy body?“  (Ein 57 Jahre alter Mann datet eine Frau in ihren frühen 20ern … kein großes Ding. Aber was ist mit einer reifen Frau, die mit einem viel jügeren Kerl ausgeht? Sind Geld oder Erfahrung attraktiver als Jugend und ein schöner Körper?) Ok, es ist also kein großes Ding, wenn ältere Männer junge Frauen daten. Das geht, weil Männer ja IMMER und in JEDEM Alter geil ausschauen.

Wenn dagegen ein jüngerer Kerl eine ältere Frau datet, kommt es ihm offenbar nur auf Geld und Erfahrung der Dame an, denn schön ist sie eh nicht mehr. Ernsthaft? Nach der Werbung, die für die Show gemacht wird, offenbar schon.

Der Slogan „Was Altes – Was Junges – Was Neues“ hätte auch für die Bewerbung eines Flohmarktes herhalten können, oder für eine Waschmaschine vom Billiganbieter. Ein weiteres Plakat zeigt ein geteiltes Bild von einer Chilischote, die auf der einen Hälfte noch frisch und knackig ist, auf der anderen Seite verschrumpelt. Darüber die Frage „Was ist schärfer?“ Sind Frauen jetzt also schon Gemüse? Und ab 37 sind wir verschrumpelt? Aha. Und dann wird auf einem Plakat tatsächlich die Frage gestellt: „Ist MILF eigentlich ein Kompliment?“.

Weder „Missy“ noch „Milf“ sind geeignete Bezeichnungen für Frauen, denn beides ist abwertend. Eine „Missy“ ist noch keine „richtige“ Frau (kleines Fräulein) und braucht nicht für voll genommen zu werden; eine „Milf“ wird auf ihre Fuckability reduziert. Das steckt schon im Titel: „Mother I’d like to fuck“.

Aber auch Junior und Senior kommen in der Show nicht gut weg, jedenfalls nicht, wenn man genauer hinschaut. Der Senior wird zu einer Art Sugar Daddy stilisiert, der seiner Traumfrau ein Luxusleben verspricht, wohingegen der Junior als ein Toyboy dargestellt wird. Eine eigene Persönlichkeit wird offensichtlich beiden nicht zugetraut, genauso wenig wie den Frauen in dieser Sendung. Frauen sind Gemüse, das kann schrumpeln. Die einen Teilnehmenden werden auf ihr Aussehen und Fickbarkeit reduziert, die anderen auf ihren materiellen Wert.

Darum ist Milf kein Kompliment!

Die Aufregung um Show und Werbung konnten die Produzenten jedenfalls nicht nachvollziehen. Die Bezeichnung „Milf“ sei für sie ein Kompliment und überhaupt seien die Kandidatinnen ihrer Show schließlich „selbstbewusste Frauen, die mit beiden Beinen im Leben stehen“. Dass sie Frauen auf ihre Fickbarkeit reduzieren, haben sie offenbar noch nicht begriffen.

Da habe ich mich aufs Älterwerden gefreut, weil ich glaubte, nicht mehr diesem Stress ausgesetzt zu sein, auf Biegen und Brechen dem „Schönheitsideal“ entsprechen zu müssen, und jetzt: sowas! Als hätte ich nach einer neuen Herausforderung gesucht, weil mich die Vereinbarkeit von Mutterschaft als Alleinerziehende und Vollzeit-Erwerbstätigkeit noch nicht genug stresst. Stattdessen werde ich mit schrumpeligem Gemüse verglichen.

Früher war das anders. Da gab es zwei Kategorien, in die du gepackt wurdest und dich entsprechend benehmen musstest: „Heilige“ und „Hure“. Als Mutter warst du grundsätzlich die Heilige, und wie du dabei ausgesehen hast, war wurst. Der Nachteil war natürlich, dass du frei von jeglicher Sexualität warst. Außer, du warst unverheiratete Mutter, dann bist du höchstwahrscheinlich in die andere Kategorie gefallen. Pfui! Heute kannst du als Mutter auch plötzlich „Hure“ sein und dich als Sexobjekt darstellen – eben als „Milf“. Aber bitte nicht zu viel. Denn die Elke mit dem knallroten Lippenstift, den weißblonden langen Haaren und dem roten Minikleid wurde als erstes rausgewählt – zu viel Hure, Schätzchen. Das geht natürlich nicht.

Milf – aber ohne Kinder

Wie Katja Grach in ihrem Buch „MILF-Mädchenrechnung“ schrieb, kann nicht jede Frau eine Milf sein. Dazu gibt es folgende Regeln zu beachten:

  1. Deinen Körper hast du natürlich streng unter Kontrolle, bist fit, trainiert, ernährst dich gesund, Dehnungsstreifen hast du nicht. Was, du hast eine Gehbehinderung? Dann fällst du schon mal raus, denn Milfs sind sowas von ablebodied, die können im Bett eine eingesprungene Pirouette, sag ich dir.
  2. Du hast einen gut bezahlten Job, bist erfolgreich, hast alles im Griff. Du bist auf Hartz, weil du wegen Kinderbetreuungszeiten nur Teilzeit arbeiten kannst? OMG, das geht gar nicht, krieg dein Leben in den Griff!
  3. Deine Wohnung ist stylisch eingerichtet, kein Staubkorn. Das machst du natürlich alles selbst, eine Putzhilfe zu engagieren gilt nicht.
  4. Deine Kleidung lässt du am besten von einem Stilberater zusammenstellen, es soll sexy sein, aber nicht schlampig . Friseur, Waxing, Maniküre, Pediküre, das gehört dazu.
  5. Und das allerwichtigste: Du musst Mutter werden – mindestens ein Kind solltest du vorweisen können. Aber nicht zu viel bitte, ab 4 Kindern bist du nicht mehr sexy.

Das mit dem Kind ist allerdings so eine Sache: Es darf nämlich nicht im Weg stehen zwischen dir und deinem Liebhaber. Es soll unsichtbar sein. Kein Legostein im Flur, keine Trinkflaschen in der Spülmaschine, keine schmutzigen Hosen in der Wäsche, keine laute Musik aus dem Jugendzimmer. Wehe, dein Babysitter sagt ab, wehe, dein Kind stört, während ihr es euch gerade gemütlich machen wollt, wehe, der Teenager weigert sich, am Wochenende auszuziehen, wenn der Kerl bei dir pennen will. Männer wollen mit deinen Kindern nix am Hut haben – sie wollen eine Milf flachlegen, ohne Verantwortung übernehmen zu müssen, weder für dich, noch für deine Kinder. Das sagt nicht nur Katja Grach, sondern auch meine persönliche Erfahrung.

Das heißt, am Ende des Tages bist du als „Milf“ immer noch alleinerziehend. Du darfst immer noch allein alle Entscheidungen treffen, ohne dass dich jemand unterstützt. Du darfst immer noch allein zusehen, wie du den Spagat zwischen deinem Beruf und den Öffnungszeiten der Kita hinkriegst. Du darfst dich immer noch ganz allein um alles kümmern, um alles. Aber hey: Ab und an vögelt dich ein hübscher Kerl. Der darf sich dann auch von seinen Kumpels beglückwünschen lassen, dass er es schafft, eine reife, erfahrene Frau wie dich zu besteigen. Er ist eben ein toller Stecher. Aber komm ihm nicht mit Problemen an. „Milfs“ haben keine Probleme.

Realitätscheck: Nope

Die Anforderungen an eine „Milf“ haben natürlich absolut nichts, aber auch gar nichts, mit der Realität zu tun, der die meisten Single-Mütter ausgesetzt sind. Und das ist eben auch das, was an der Bezeichnung „Milf“ schwierig ist. Sie beschreibt ein Ideal, wie Männer es sich wünschen. Und wenn du das nicht hinkriegst, bist du eben keine Mutter, die man gern ficken würde. Gerade als „selbstbewusste Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht“, sollte sich eine doch überlegen, ob sie solche Strapazen auf sich nehmen will, um am Ende doch nur wieder da zu stehen, wo sie vorher auch schon war. Die Sendung auf Joyn bedient dabei dieses Ideal, ohne auf die Konsequenzen zu achten: die Objektivierung von Menschen. Kein Mensch ist ein Objekt – egal welchem Geschlecht eine*r angehört. Das sollten auch endlich die TV-Produzenten verstehen.


One thought on “Milf oder Missy: Ich bin pissy.

  1. Hi Anja,
    ich bin über dein Twitter-Profil auf *innenansicht gestoßen und finds hier sehr cool! 😀 Habe direkt mal zielsicher zwei Beiträge von dir gelesen. Danke dafür! Hier komm ich wieder hin.
    Judith (Arduinna)

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