Viva la Vagina: Über Mythen und Fakten im Genitalbereich

Viva la Vagina: Über Mythen und Fakten im Genitalbereich

Inhaltswarnung: Diese Rezension behandelt ein Buch, das cis-normative Sprache verwendet.

Die zwei Medizinstudentinnen Ellen und Nina schreiben einen Blog über Vaginas und Vulven und entwickeln später ein Buch daraus. Sie befassen sich mit Mythen und Fakten im Genitalbereich. Viva la Vagina erschien in Norwegen bereits 2017, in die deutschen Buchläden gelangte es ein Jahr später.

Als ich vor guten zwanzig Jahren mit einem Freund das erste Mal Sex hatte, zeigte er sich extrem überrascht bezüglich des Aussehens einer Vulva. O-Ton: „Ich dachte, das wäre so ein Schlitz.“ Ernsthaft. Ja, das war vor zwanzig Jahren. Jedoch vor dem Hintergrund betrachtet, dass diese schlecht informierte Generation nun die eigenen Kinder aufklären soll, ist das durchaus bedenklich. Zumal berücksichtigt werden muss, dass dieses Thema in der Schule immer noch sehr stiefmütterlich behandelt wird, auch wenn es bereits Fortschritte gab. Daher denke ich, dass dieses Buch als Grundlagenwerk hilfreich ist, um Menschen zu erreichen, die außerhalb einer aufgeklärten feministischen Blase aufgewachsen sind.

Mir hat Viva la Vagina insgesamt sehr gut gefallen. Es hat eine sehr lockere Sprache, lustige Karikaturen, ist witzig und sehr informativ. Ein paar Schwächen hat es trotzdem.

Der Aufbau von Viva la Vagina

Das Buch ist gut übersichtlich nach Themen aufgeteilt: Es beginnt mit den Grundlagen im Genitalbereich, spezifischer wird es im nächsten Kapitel über Ausfluss, Monatsblutung und andere Säfte. Ein relativ kleines Kapitel nimmt das Thema Sex ein, dafür ist das Thema Empfängnisverhütung umso umfangreicher. Im Kapitel Trouble im Intimbereich setzen sich die Autorinnen mit allen möglichen Fragen und Problemen auseinander, von Endometriose bis Genitalverstümmelung.

Im ersten Kapitel werden die Vulva, Vagina und Klitoris behandelt und damit der Aufbau, die Funktion und alles Drum und Dran. Hier ist mir jedoch sauer aufgestoßen, dass in der deutschen Übersetzung immer noch von „Schamlippen“ die Rede ist. Im norwegischen Original heißt das „Labia“, das hätte man einfach übernehmen und von „Labien“ schreiben können, oder von Vulvalippen.

Mir war beim Lesen die Aufklärung über Jungfräulichkeit und den Mythos der Reinheit wichtig. Über knapp einhundert Seiten wird darüber aufgeklärt, dass da nichts reißen kann, woher das Blut kommt, wie das „Jungfernhäutchen“ aussieht und so weiter.

Schön fand ich, dass die Autorinnen die Verbreitung von ungesichertem Wissen in Medizinbüchern anprangern und darauf aufmerksam machen, dass Vaginas und Vulven immer noch unzureichend thematisiert werden, obwohl zahlreiche Forschungsliteratur vorhanden ist, die genaue und neue Erkenntnisse liefert.

Auch wichtig: Das Thema Behaarung und Rasieren wird ausführlich behandelt. Dabei wird jedoch keine Rasier-Keule rausgeholt, sondern es wird über Aufbau und Funktion von Behaarung informiert. Dazu wird auch ausführlich auf positive Aspekte eingegangen, zum Beispiel, dass man ohne Haare einen Teil des „sinnliches Erlebnisses“ einbüßt. Die Autorinnen geben trotzdem Tipps zum Rasieren, um eingewachsene Haare zu vermeiden: Nicht gegen den Strich und am besten Ein-Klingen-Rasierer verwenden. Es bleibt uns selbst überlassen, was wir mit unseren Haaren machen.

Die Frage des Geschlechts

Mensch könnte Viva la Vagina vorwerfen, dass es auf veralteten Informationen basiert und daher nicht inklusiv sei. Um keine falschen Erwartungen an das Buch zu wecken, möchte ich hier kurz auf diese Stellen eingehen. Immerhin wird sich der Frage nach dem Geschlecht auf zwanzig Seiten gewidmet.

Die Autorinnen konzentrieren sich auf drei Aspekte – das genetische, das biologische und das psychologische Geschlecht – betonen aber, dass es weitere Faktoren gibt. Zunächst beschreiben die Autorinnen den Menschen als Kochbuch und Zutaten sind X- und Y-Chromosomen. Das wird sehr verständlich gemacht. Aber da nicht nur das Genmaterial den Menschen ausmacht, wird am Ende des Kapitels die Frage gestellt, welches Geschlecht ein Mensch hat, der mit X-, XXX- oder XXY-Chromosomen zur Welt kommt. Hier klärt das nächste Kapitel auf, in dem es um die menschliche Biologie geht. Zeichnungen veranschaulichen, wie sich die Geschlechtsorgane bei einem Fötus entwickeln. Dabei wird vorerst von zwei Geschlechtern ausgegangen, jedoch wird danach dargelegt, dass sich ein Fötus körperlich zwar zur Frau entwickeln kann, genetisch aber ein Mann sein kann. Auch betonen die Autorinnen unterschiedliche Ausprägungen: Intersexualität. Sie schreiben über Operationen, die immer noch stattfinden, und stellen die Frage, warum man das überhaupt machen muss. Somit kommen wir zum dritten Aspekt, der in diesem Buch behandelt wird: dem psychologischen Geschlecht. Hier geht es um die Identität. Die Autorinnen betonen, dass der Blick „zu sehr auf das Gängige fixiert“ ist und dabei trans Personen ausblendet. Allerdings wird hier nur grob beschrieben, was dies bedeutet.

Auf Genderfluidität wird nicht eingegangen. Wir wissen, dass nicht nur Frauen Vaginas haben und es ist schade, dass die zwei Autorinnen so sehr auf Geschlechterbinarität verharren, wo sich Viva la Vagina doch sonst sehr aufgeklärt gibt. Warum das so ist, kann ich nur vermuten. Ich kann mir vorstellen, dass das Thema einfach keinen Platz in einem Grundlagenwerk über die Vagina hatte. Irgendwo muss man sich beschränken. Es wird zum Beispiel auch nicht genauer auf verschiedene sexuelle Orientierungen eingegangen. Dafür gibt es andere Literatur (hoffe ich). Auch geht man in der Biologie heute davon aus, dass über 100 Gene in die Bildung des Geschlechts involviert sind, sich aber nur wenige auf den Chromosomen zeigen. Das Ganze ist also durchaus komplexer, als es hier dargestellt wird. Wer sich genauer mit dem Thema befassen möchte, sollte sich andere Literatur zu Gemüte führen.

Das Buch kann nicht alles abdecken und ich denke auch nicht, dass es so konzipiert wurde. Außerdem muss gesagt werden, dass die Autorinnen Medizinerinnen sind und keine Genderwissenschaftlerinnen oder Biologinnen. Da ist der Blick schon recht fokussiert. Eine kann ja nicht alles studieren, aber die Leser*innen des Buches sollten doch wenigstens erfahren dürfen, dass das Konzept von zwei Geschlechtern überholt ist, auch wenn in diesem Rahmen nicht in die Tiefe gegangen werden kann.

In Viva la Vagina geht es um Sex

In Viva la Vagina geht es nicht nur um das „erste Mal“, sondern auch um Sex allgemein. Besonders gut gefallen haben mir die Karikaturen beim Vergleich von Pornos mit realem Sex. Auch die Rolle der Klitoris beim Sex, der Orgasmus und die verschiedenen Möglichkeiten, einen zu bekommen, werden ausführlich behandelt. Dabei geben Ellen und Nina Tipps, die ich durchaus interessant finde: Ziehen Sie Socken an (wer mag schon gern Sex haben, wenn die Füße kalt sind).

Beim Thema Verhütung wird es sehr detailliert. Obwohl die Autorinnen eine Lanze für hormonelle Verhütungsmethoden wie die Pille brechen, berichten sie sehr genau über Risiken und Nebenwirkungen sowie über Krebsrisiko und Schlaganfälle. Zudem prangern sie die schlechte Forschungslage an und fordern, dass Personen, die hormonell verhüten wollen, ausführlicher über die Auswirkungen dieser Methoden aufgeklärt werden müssen.

Das Thema Schwangerschaft wird größtenteils ausgelassen – ich denke auch, dass hier andere Literatur hilfreicher ist. Dafür informieren Nina und Ellen über Schwangerschaftsabbrüche. Sie klären sachlich und ohne erhobenen Zeigefinger darüber auf, wie ein Abbruch vorgenommen werden kann und was dabei passiert. Am Ende lautet der Rat der Autorinnen: Lassen Sie sich beraten.

Big Trouble

Sehr wichtig fand ich das lange Kapitel über Probleme im Genitalbereich. Ich persönlich habe überhaupt keine Probleme, daher habe ich von einigen Krankheiten, die in diesem Buch besprochen werden, zum ersten Mal gehört. Es beginnt mit Menstruationsstörungen und Endometriose, geht dann weiter mit dem Polyzystischen-Ovar-Syndrom, Myomen, Vulvodynie, Geschlechtskrankheiten, über Unterleibsbeschwerden, Blasenschwäche, Hämorriden, Krebs bis hin zu Fehlgeburten, Genitalverstümmelungen sowie Schönheitsoperationen an der Vulva. Es ist also enorm umfangreich, geht jedoch nicht zu sehr in die Tiefe. Ich denke, dass sich Menschen mit derartigen Problemen eher andere Literatur besorgen würden. Ansonsten ist das Kapitel super, weil man einen Überblick bekommt.

Fazit

Wie gesagt, das Werk ist kein Universallehrbuch, sondern ein Grundlagenbuch für die ‚breite Masse‘. Es ist schön, in einer leichten und witzigen Sprache mit vielen plastischen Beispielen über die Vagina zu lesen. Bei den vielen Karikaturen habe ich mich zum Teil wirklich amüsiert und das Buch schnell durchgelesen.

Viva la Vagina: Eine Rezension

Ich denke, dass es einige Menschen gibt, die zu dem ein oder anderen Thema erleuchtet werden würden. Sicher, es gibt einige Themen, die nicht behandelt werden, jedoch muss man sich auch vor Augen führen, dass nicht alle Menschen in einer feministischen Blase aufgewachsen sind oder einfach niemanden haben, mit dem sie sich über diese Dinge unterhalten können. Vor allem, wenn man gelernt hat, dass man über ’solche Themen‘ nicht spricht. Dies trifft sowohl auf Personen zu, die hüsteln und flüstern, wenn sie das Wort ‚Vagina‘ in den Mund nehmen, als auch auf junge Menschen, die sich selbst mit der Bravo aufklären müssen, weil es niemand anderes tut.

Ich finde es daher zu kurz gegriffen, dem Buch vorzuwerfen, dass es nichts Neues bringe und nicht inklusiv genug sei. Es stimmt wohl, dass Viva la Vagina einige Themen ausspart oder bei vielen Dingen an der Oberfläche kratzt, jedoch dürfen wir nicht davon ausgehen, dass jeder Mensch über ein umfangreiches Wissen über Sexualität verfügt. Da ist dieses Buch für Anfänger*innen super hilfreich.

Anmerkung:
Auf Instagram wurden wir nach der Veröffentlichung des Artikels darauf aufmerksam gemacht, dass das Buch transfeindliche Sprache verwendet und der (Unter-)Titel insbesondere für trans Menschen triggernd sein kann. Uns ist bewusst, dass nicht nur Frauen eine Vagina haben und nicht alle Menschen mit Vagina Frauen sind. Daher tut es uns leid, dass wir diese Kritik im Artikel nicht deutlicher gemacht haben.

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