Feminizide – #KeineMehr! Aber bitte auch nach der Corona-Krise

Feminizide – #KeineMehr! Aber bitte auch nach der Corona-Krise

Mitten in der Pandemie wird mit Bestürzung über die steigenden Zahlen sexualisierter Gewalttaten diskutiert. Das vermeintliche Erwachen der Politik ignoriert jedoch die Alltäglichkeit von Gewalterfahrungen von Frauen. Auch ohne Corona-Isolation sterben in Deutschland jedes Jahr Frauen in Folge von Partnerschaftsgewalt. Das Wort »Feminizid« wird dabei jedoch ungerne in den Mund genommen. 

Plötzlich rührt sich etwas. Plötzlich wird in der politischen Debatte und sogar zu Hauptsendezeiten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens von Gewalt an Frauen gesprochen. Zynisch ließe sich sagen: Corona macht‘s möglich! Selbst Politiker*innen wie etwa Armin Laschet, die bisher nicht gerade durch ihr frauenpolitisches Engagement auffällig geworden sind, weisen nun auf die Gefahr vermehrter Gewalt innerhalb von Familien hin. Von oben verordnetes Social Distancing und Isolation in den eigenen vier Wänden erhöht den Druck auf die Frauen, die mit ihrem Peiniger unter einem Dach leben. Wo Frauen sonst wenigstens für ein paar Stunden ihre Wohnung verlassen können, sind sie nun einer permanenten Kontrolle durch ihren Partner ausgeliefert, womöglich sogar, wenn sie per Telefon versuchen, um Hilfe zu bitten. Während die Politik von einer „Ausnahmesituation“ redet und versucht, im Eilverfahren leerstehende Hotels anzumieten, um temporär die Zahl der Frauenhausplätze aufzustocken, sind Gewalterfahrungen von Frauen in Deutschland alles andere als eine Ausnahme.

Sexualisierte Gewalt in Deutschland

Ein Blick in die Ende 2019 veröffentlichte Statistik des Bundeskriminalamts zu Partnerschaftsgewalt zeigt, dass die Zahlen von Gewalttaten von überwiegend männlichen Partnern an ihren weiblichen Partnerinnen in den letzten vier Jahren kontinuierlich angestiegen sind. 2018 wurden 140.755 Opfer von Partnerschaftsgewalt registriert, wobei die Dunkelziffer wohl weitaus höher ist. Nicht jedes Opfer zeigt seinen Gewalttäter an. Die Statistik schließt auch diejenigen Frauen ein, welche die Gewalt ihres Partners nicht überleben. Im Schnitt versucht in Deutschland jeden Tag ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu ermorden. Jeden dritten Tag gelingt eine solche Tat. 2018 waren es 118 Frauen.

Daten über die Frauen, die jenseits von ihren Partnerschaften ermordet wurden, sind hingegen nur unzureichend vorhanden. So sind wenig Informationen bekannt über Morde an Transfrauen und Sexarbeiterinnen oder Frauen, die mehrfach diskriminiert sind, obgleich diese Gruppe einem besonders hohen Risiko ausgesetzt ist, Gewalt zu erfahren.[1] [2]

Globale Kämpfe gegen Feminizide und wie uns andere Länder inspirieren können

Soziale und feministische Bewegungen in Ländern wie Argentinien, Mexiko oder auch Spanien kämpfen mittlerweile seit Jahrzehnten gegen sexualisierte Gewalt und Frauenmorde. Frauenmorde werde hier als Feminizide bezeichnet. Der Begriff Feminizid wurde unter anderem durch die mexikanische Professorin für Anthropologie und feministische Aktivistin Marcela Largade geprägt. Zur Verwendung des Begriffes sagt sie: „Auf Spanisch ist femicidio analog zu homicidio (zu Deutsch Mord) und bedeutet schlicht: Mord an Frauen. Um zu differenzieren, bevorzugte ich den Ausdruck feminicidio, um so die Gesamtheit der Verletzung der Menschlichkeit, die die Verbrechen an den Frauen und ihr Verschwinden kennzeichnen, zu benennen.“ [3]

Feminizide sind demnach eine Form der Hasskriminalität und ein extremes Zeugnis ungleicher Geschlechterverhältnisse und männlichen Strebens nach Dominanz.

Politische Kämpfe gegen Feminizide sind mittlerweile an vielen Orten aufgeflammt. Etwa in Argentinien mobilisiert seit 2016 die »Ni Una Menos« Bewegung (dt.: Nicht eine mehr) im ganzen Land gegen Feminizide und kämpft für das Recht auf Abtreibung. In Spanien streiken seit einigen Jahren Millionen von Frauen am 8. März und legen für einen Tag ihre Arbeit nieder, um auf patriarchale Gewalt und unbezahlte Sorgearbeit aufmerksam zu machen. Und erst vor Kurzem ist die Performance »El violador eres tú« (dt. Der Vergewaltiger bist du.) von chilenischen Feministinnen innerhalb von Stunden viral gegangen und hat daraufhin weltweite Nachahmer*innen gefunden.

Auch in Deutschland mobilisieren Feminist*innen. Im vergangenen Jahr im September trafen sich 1.600 Feminist*innen auf dem »Feminists Futures Festival« in Essen, wo über die ganze Bandbreite feministischer Kämpfe und so auch über Feminizide diskutiert wurde. Während Frauenmorde längst Teil des feministisch- aktivistischen Diskurses sind, spiegelt sich die Dringlichkeit dieses Themas jedoch nicht gerade in der Politik der Bundesregierung wider. 

Versäumnisse in Deutschland

In vielen lateinamerikanischen Staaten ist der Feminizid schon seit vielen Jahren (seit 2012) eine politische Kategorie und ein strafrechtlicher Tatbestand. In Deutschland hingegen verweigert sich die Bundesregierung, das Phänomen Feminizid offiziell anzuerkennen und behandelt es weiterhin als private und unglückliche Tragödien. Damit verhindert sie nicht nur einen systematischen Kampf gegen diese Morde, sondern erfüllt auch nur unzureichend die Bestimmungen der Istanbul-Konvention. Mit der Ratifizierung der Konvention, sind europäische Staaten rechtlich daran gebunden, genauere Daten über Gewalt gegen Frauen zu erheben und die gesammelten Informationen für die Entwicklung gezielter Maßnahmen auszuwerten.

Und tatsächlich lassen die Maßnahmen zu wünschen übrig. Seit Jahren beklagen sich Beratungsstellen und Frauenhäuser über die Unterfinanzierung ihrer Arbeit und das mangelhafte Angebot für Frauen. Auch im Jahr 2020 werden Frauen, die nach Unterschlupf suchen, vor überfüllten Frauenhäusern stehen. Hat sich Deutschland mit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention dazu verpflichtet, im Verhältnis zu seiner Einwohner*innenzahl 21.400 Frauenhausplätze anzubieten, gibt es landesweit gerade mal 6800 solcher Plätze.

Interessanterweise setzt sich Deutschland auf internationaler Ebene vehement für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen ein, wie etwa in Mexiko und Argentinien. Als größter Geldgeber für die Europäische Initiative Spotlight, die sich gegen sexualisierte Gewalt weltweit stark macht, stilisiert sich Deutschland als Kämpferin für Frauenrechte anderenorts, während Verfehlungen im eigenen Land nicht hinreichend ernst genommen werden. Feminizide sind schlimm, aber natürlich kein Problem von Deutschland, so scheint es.

Rassifizierung von Frauenmorden in Deutschland

Nur wenn der Gewalttäter Migrant oder Geflüchteter ist, dann hallt plötzlich ein kollektiver Aufschrei durchs Land. In Deutschland werden Frauenmorde gerne rassifiziert und als Problem einer anderen Kultur gesehen, dies insbesondere von rechten Populist*innen, die im selben Atemzug Migration und das Asylrecht am liebsten ganz abschaffen würden. Sie bedienen sich rassistischer Narrative, die sexuelle Gewalttätigkeit dem Fremden zuschreibt. Etwa auf Wahlplakaten der AfD werden Asylsuchende konsequent als Verbrecher*innen diffamiert, vor denen die deutsche Mehrheitsgesellschaft oder, so wörtlich, „unsere Frauen und Töchter“ beschützt werden müssten.

Die Leiterin des Dialogprogramms Feminismus der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Alex Wischnewski, beschreibt die rassistische Deutung von Gewalttaten als wiederkehrendes Muster: „Nicht nur im Kolonialismus und in der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Gefahr des gewalttätigen und übergriffigen Fremden heraufbeschworen und diente zur Legitimation der eigenen Gewalt.“ Weiter sagt sie: Die Konstruktion eines »Anderen« dient auch immer der Konstruktion des »Eigenen«, in diesem Fall einer scheinbar geschlechtergerechten deutschen Mehrheitsgesellschaft, in die sich die »Anderen« nicht integrieren können.“ [4]

Rassistische Deutungen von Gewalt und Mord an Frauen ignorieren jedoch zweierlei: Einerseits den Fakt, dass 2018 67% der Täter von Partnerschaftsgewalt deutsche Staatsangehörige waren, andererseits, dass Gewalt gegen Frauen historisch keine kulturellen Grenzen kennt, sondern zentraler Baustein einer patriarchalen und kapitalistischen Welt ist, zu der ohne Zweifel auch Deutschland gehört.

Im Buch „Caliban und die Hexe“, das die politische Philosophin Silvia Federici 2004 veröffentlichte, wird die gewaltvolle ‚Disziplinierung‘ der Frau und die Aneignung und Reduktion des weiblichen Körpers auf seine reproduktiven Fähigkeiten (das Gebären von neuen Arbeiter*innen) als eine der Grundvoraussetzung für die Entstehung des Kapitalismus in Europa entlarvt. Teil des Feldzuges des Patriachats war nicht nur die gesellschaftliche, wirtschaftliche und juristische Entrechtung von Frauen, sondern auch ihre brutale Tötung, die als die sogenannte Hexenverbrennung in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Die Hexenverbrennungen haben unter anderem zur Auslöschung von genuin weiblichem Wissen über Heilkräuter, Geburtshilfe und Mittel zur Verhütung geführt, wodurch Frauen der Selbstbestimmung über ihren eigenen Körper beraubt wurden. Der Kampf um die „(Rück-)Gewinnung“ dieser Rechte, die viele Frauen im Mittelalter noch besaßen, dauert bis heute an und zeichnet sich beispielhaft an den immer wieder aufflammenden Debatten über Abtreibung ab. 

Federici weist darauf hin, dass patriarchale Gewalt im Übergang zum Kapitalismus ihren Ursprung fand und Hexenverbrennungen sich als Feminizide im kulturellen Gedächtnis von Europa verankert haben. Was viele nicht wissen: Auch Männer, vor allem die für den aufkeimenden Kapitalismus ‚unbrauchbaren‘ Vagabunden und Bettler, sowie Kinder sind der Verfolgung zum Opfer gefallen. Nichtsdestotrotz galt im 16. und 17. Jahrhundert Hexerei als weibliches Verbrechen, sodass mehr als 80 Prozent der Angeklagten und Hingerichteten Frauen waren. [5]

Wenngleich die öffentliche Verbrennung von Frauen heute in Deutschland undenkbar ist, hat sich patriarchale Gewalt in veränderter Form bis heute fortgeschrieben. Im Laufe der Zeit haben sich Frauen viele Rechte erkämpft, aber eins ist sicher, der Kampf ist nicht vorbei.

Die #KeineMehr-Initiative

Denjenigen, die trotz allem behaupten, der feministische Kampf sei in Deutschland längst ausgefochten und strukturelle sexualisierte Gewalt existiere hier nicht, begegnet die Initiative #KeineMehr mit Gegenargumenten. Die Initiative setzt sich, in Anlehnung an die politischen Kampagnen lateinamerikanischer Feminist*innen, für eine öffentliche Debatte über Feminizide in Deutschland ein. Ziel ihrer Arbeit ist unter anderem die Verbesserung der Datenlage über Feminizide in Deutschland, um empirische Lücken, etwa über Morde an marginalisierten Frauen jenseits der Partnerschaft, zu schließen. Des Weiteren geht es der Initiative darum, auf das öffentliche Verständnis der Problematik Einfluss zunehmen, indem Medienschaffende über Möglichkeiten einer sensibleren Berichterstattung aufgeklärt werden. Hierzu gehört zum Beispiel das Vermeiden von Beschreibungen wie „Familiendrama“ oder „Eifersuchtstat“, wenn über Fälle von Feminiziden berichtet wird. 

Als weit komplexeren Punkt hat sich die Initiative auch dem juristischen Problem der Reform des Mordparagraphen angenommen. Hier stellt sich die Frage, welche Form von Sensibilisierung des juristischen Personals und der Gesellschaft es braucht, um eine veränderte Rechtsprechung in Bezug auf Feminizide zu erwirken.

Damit die Problematik von struktureller sexualisierter Gewalt und Feminiziden in Deutschland nach der Corona „Ausnahme“ nicht wieder ans hinterste Ende der politischen Agenda rutscht, braucht es einen breiteren politischen Kampf. Bei diesem Kampf sollten wir von denen lernen, die uns schon einige Schritte voraus sind. Und so konstatiert Alex Wischnewski, Mitgründerin der Initiative #KeineMehr: „Die Kraft, die von den Streiks in Argentinien und Spanien ausging, hat auch hier viele Frauen inspiriert und motiviert. Es gibt einen Süd-Nord-Transfer der Organisierungserfahrungen. Sicherlich wird das ein längerer Prozess werden, aber der ist nicht aufzuhalten.“ [4]

[1] https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/JahresberichteUndLagebilder/Partnerschaftsgewalt/Partnerschaftsgewalt_2018.html

[2] https://taz.de/Frauenmorde-in-Deutschland/!5529757/

[3] https://aquiescencia.net/2011/05/02/marcela-lagarde-y-la-invencion-de-la-categoria-feminicidio/

[4] https://www.zeitschrift-luxemburg.de/keine-mehr/

[5] Federici, Silvia (2017): Caliban und die Hexe. Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation. Mandelbaum Verlag. Wien/Berlin. 

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