Männerliteratur – nein danke!

Männerliteratur – nein danke!

Seit über einem Jahr lese ich keine „Männerliteratur“ mehr – also Bücher, die von weißen¹ cis Männern geschrieben wurden. Warum ich mich dagegen entschieden habe und was ich stattdessen lese, erfahrt ihr in diesem Artikel.

„‚Männerliteratur‘ – was soll das denn sein?“, fragst du dich jetzt vielleicht. Sachbücher übers Grillen, die Buchvorlage für die Fast and Furious-Reihe oder Barney Stinsons Bro-Code? Klingt absurd? Finde ich auch. Tatsächlich ist der Begriff auch überhaupt nicht geläufig. Das Pendant ‚Frauenliteratur‘ gibt es aber sehr wohl. Damit waren früher genau solche Klischees gemeint: Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Begriff synonym mit ‚Trivialliteratur‘ und ‚Groschenromanen‘ verwendet. Noch 1979 erläutert das Sachwörterbuch der Literatur zu diesem Begiff:

„Wesen und kulturelle Stellung der Frau als die Stille, Naturverbundene und ausgleichend Bewahrende im Wandel der Zeiten erklären das späte Einsetzen der Frauendichtung und die Vorliebe für religiöse, moralische, empfindsame Stoffe, besonders in gefühlsbetonter Lyrik und weltaufgeschlossener Epik, während die straffe, wuchtige Gestaltung des Dramas meist der Frauendichtung versagt blieb“.

Gero von Wilpert (Hg.): Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart 1979, S. 279.

Die von Natur aus empfindsamen Frauen schreiben also gefühlvolle Lyrik und lassen besser die Finger vom allzu unfeminin-wuchtigen Drama. Themen wie Liebe, Ehe und Familie werden auch heutzutage noch mit ‚Frauenliteratur‘ assoziiert, während Männer neue Erkenntnisse über Philosophie, Politik und Wissenschaft postulieren.  

‚Frauenliteratur‘ hat einen schlechten Ruf

Diese Auffassung herrscht anscheinend auch an der Uni vor: Als ich Germanistik studierte, standen auf meiner Lektüreliste fürs Studium über 200 Titel von Männern – und genau 3 (in Worten: drei!) von Frauen. Das waren Annette von Droste-Hülshoff, Marie-Luise Kaschnitz und Ingrid Bachmann. Natürlich drei wichtige Autorinnen, die mensch (gerade als Germanistik-Student*in) vielleicht gelesen haben sollte. Aber was ist mit Elfriede Jelinek und Herta Müller, die beide den Literaturnobelpreis erhalten haben? Wo blieben Catharina von Greiffenberg, Bettina von Arnim, Sophie von La Roche, Mascha Kaléko, Christa Wolf, Anna Seghers, Vicki Baum, Irmgard Keun, Marlen Haushofer?

Mittlerweile wurde der Begriff ‚Frauenliteratur‘ umgedeutet und wird nun allgemeiner als ‚Literatur von Frauen über Frauen‘ verstanden. Dass sich der Blick auf ‚weibliches‘ Schreiben geändert hat, zeigt sich vielleicht auch daran, dass die oben erwähnte Leseliste mittlerweile aktualisiert wurde und immerhin zwölf Frauen aufführt… Doch die Tatsache, dass es keine ‚Männerliteratur‘ gibt, deutet auf ein Ungleichgewicht hin: Denn es wird allgemein davon ausgegangen, dass weiße Männer universale Probleme behandeln, die die gesamte Menschheit betreffen und mit denen sich jede*r identifizieren kann. Frauen (und in diesem Kontext auch People of Color) hingegen schreiben über spezifische Themen, die nicht für alle relevant sind und die nur ein bestimmtes Publikum überhaupt interessiert, so die Implikation.

Frauen sind im Literaturbetrieb massiv unterrepräsentiert

„Soll doch jede lesen, was sie möchte!“, sagt jetzt vielleicht der eine oder die andere. „Das Geschlecht der Schreibenden ist doch egal! Es kommt nur auf die Qualität an!“ Ja, ich wünschte auch, es wäre so. Aber leider sitzen die (unbewussten) Vorurteile tief und haben ganz reale Auswirkungen: Die Pilotstudie #frauenzählen, die die Sichtbarkeit von Frauen im Literaturbetrieb untersucht, kam 2018 zu dem Schluss, dass Autorinnen medial massiv unterrepräsentiert sind. Bei Rezensionen werden zu zwei Dritteln Männer, hingegen nur zu einem Drittel Frauen besprochen. Drei Viertel aller von Männern besprochenen Bücher wurden von Männern verfasst. Nur 24 Prozent der besprochenen Krimis wurden von Frauen geschrieben und sogar nur ein Fünftel der besprochenen Sachbücher. Autoren werden zudem ausführlicher besprochen als Autorinnen.

Anfang des Jahres werteten Berit Glanz und Nicole Seifert im ihrem Projekt #vorschauenzählen die Verlagsprogramme für das Frühjahr 2020 aus. In der Belletristik werden dabei ca. 40 Prozent Frauen publiziert und 60 Prozent Männer, bei Sachbüchern geht die Schere noch ein bisschen weiter auf (37 Prozent zu 63 Prozent). Männer werden also nicht nur öfter rezensiert, sondern auch öfter überhaupt verlegt. Dabei zeigt ein Blick auf die Longlist des Deutschen Buchpreises, dass es nicht an der Qualität ‚weiblichen‘ Schreibens liegen kann: 2018 und 2019 waren jeweils mehr Frauen als Männer nominiert (2018: 12 Frauen, 8 Männer; 2019: 11 Frauen, 9 Männer). ‚Frauenliteratur‘ hat laut den Statistiken ihren schlechten Ruf wohl noch nicht ganz abgelegt.

Neue Perspektiven auf Bookstagram

Die Unterscheidung, die der Begriff macht, verkennt dazu, dass es nicht nur Männer und Frauen gibt, die über weibliche und männliche Figuren schreiben. Diese binären Eingrenzungen machen Vielfalt von Autor*innen und ihren Held*innen unsichtbar. Deswegen habe ich mich bewusst dazu entschieden, mein Bücherregal zu diversifizieren und seit über einem Jahr kein Buch mehr eines weißen cis Mannes gelesen. Es gibt einfach so viele Perspektiven, die mich mehr interessieren als das 100. Buch eines Mannes über einen Mann. Anstatt zum SZ-Autorenschuber Soulmates (in dem man laut Webshop „nachlesen kann, wie Männer verschiedener Jahrzehnte über Männer geschrieben haben“), greife ich also lieber zu nicht-binären Schreibenden wie Akwaeke Emezi und Rivers Solomon oder zu Büchern über Menschen, die sich nicht vom binären Geschlechtermodell einengen lassen wollen, wie in Bernardine Evaristos Girl, Woman, Other. Letzteres ist bisher leider noch nicht auf Deutsch erschienen, obwohl es 2019 den wichtigsten britischen Literaturpreis (Booker Prize) erhalten hat.

Um sich von der männlich dominierten Perspektive des deutschen Literaturbetriebs abzuwenden, ist ‚Bookstagram‘ eine super Alternative: Die Bücher-Community auf Instagram empfiehlt so viele großartige Bücher, dass ich Jahre brauchen werde, um meine persönliche Leseliste abzuarbeiten. Falls du dich inspirieren lassen willst, schau doch mal nach: @internationalreads, @nachtundtag.blog (von der oben erwähnten Nicole Seifert), @thereadingwomen, @avivaverlag und @buecherwurm_in.

Und lass gerne deine Lesetipps in den Kommentaren!


¹ weiß ist hier kursiv geschrieben, um auf die Konstruktion von Hautfarben hinzuweisen. Die Bezeichnung verweist in ihrer politischen Dimension auf die Privilegien, die hellhäutige Menschen genießen.

2 thoughts on “Männerliteratur – nein danke!

  1. Ich finde es gut und richtig im Verlagswesen für gleiche Rechte von Frauen und Männern zu kämpfen und Ungerechtigkeiten aufzudecken, aber ist es nicht gleichzeitig diskriminierend wenn du Männerliteratur komplett verbannst aus deinem Umfeld? Und wenn du das tust und dies öffentlich machst, wie mit diesem Artikel, klingt es wie ein Aufruf zum Streik Frauen gegen Männer. Männer schreiben Büche genau wie Frauen. Sie sind einfach nur Autoren und sind ja nicht Schuld daran, wenn der Verlag sie mehr bevorzugt? Oder sehe ich das falsch? Im Grunde sind Autoren Künstler*innen, die hoffen Abnehmer für ihre Kunst zu finden um davon zu leben und natürlich auch gehört zu werden. Warum sollen Männer hier anders sein als Frauen? Die Entscheider und Lenker, die diese Künstler mit den Lesern verbinden, sind die Verlage. Sie entscheiden wer veröffentlicht wird, sie enscheiden wer mehr oder weniger Gehör bekommen, können durch gezieltes Marketing die Öffentlichkeit lenken und vergeben Prioritäten. Nicht die Künstler selbst. Da mmüsste angesetz werden und nicht bei den Künstlern selbst. Deren Bücher zu meiden halte ich deshalb nicht für den richtigen Weg und auch sehr ignorant. Es gibt gute Bücher von Männern und die sollte man genauso lesen, wenn es ein guter Inhalt ist bzw. wenn der Inhalt dem Leser zusagt, wie auch die Bücher von Frauen.
    Doch bei der ganzen Gleichstellungssache im Verlagswesen sollte man auch aufpassen, dass es nicht wie in der Wirtschaft läuft. Nämlich auf Zahlen und Quote setzen. Das ist für die Wirtschaft zu kurz gedacht und bringt langfristig keine tiefergehenden Veränderungen die langfristig halten. Es müssen die entscheidenden Abläufe und Schlüsselprozesse geändern und angepasst werden um Frauen die gleichen Chancen zu geben. In der Wirtschaft ist das viel schwieriger und komplexer zu erreichen als im Verlagswesen, gilt aber genauso.
    Zudem sollten wir nicht vergessen, dass Literatur, also Kunst, oft auch im Auge des Betrachters liegt. Nicht jedes Buch was eine Frau geschrieben hat ist automatisch gut und nicht jedes Buch was von einem Mann geschrieben wurde ist nicht automatisch schlecht oder nicht lesenswert. Wenn man schon für Gleichheit ist, dann muss man fair sein. Nur durch Fairness erreicht man Fairness. Als Vorbild zu agieren wäre dabei der passendere und nachhaltigere Weg. Man will ja nicht erreichen, dass die Frauen plötzlich männerablehnende Menschen werden sondern starke, differenzierte und faire Persönlichkeiten.

    1. Liebe Katharina,
      mein Artikel ist kein Aufruf zum Streik, sondern eine Ermutigung, das eigene Leseverhalten zu überdenken und vielleicht unbewusste Vorurteile aufzudecken.
      Wie du sagst, entscheiden Verlage, wer publiziert wird und wer nicht; und genau da kann man ja als Einzelne ansetzen: Mit ihren Kaufentscheidungen üben Menschen Einfluss auf diese wirtschaftlichen Unternehmen aus. Solange wir in einem kapitalistischen System leben, ändern sich die Schlüsselprozesse nicht von allein. Wie würdest du sonst konkret für gleiche Rechte im Verlagswesen kämpfen und die Schlüsselprozesse ändern?
      Marisa

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