Woody Allens Autobiographie – Recht und Anrecht

Woody Allens Autobiographie – Recht und Anrecht

Inhaltswarnung: Vergewaltigungsvorwürfe, sexueller Missbrauch

Woody Allen wurde vor Jahren von seiner Tochter Dylan Farrow vorgeworfen, sie sexuell missbraucht zu haben. Ein Gerichtsverfahren gegen ihn wurde nie eingeleitet, er bestritt die Vorfälle immer. Nun sollte Woody Allens Autobiographie Apropos of Nothing im amerikanischen Hachette-Verlag erscheinen – doch Proteste der Mitarbeiter*innen des Verlags verhinderten dies. Bei Rowohlt soll die deutsche Übersetzung Ganz nebenbei im April erscheinen. Ein offener Brief der eigenen Autor*innen ruft nun die Verlagsleitung dazu auf, die Veröffentlichung zu unterlassen.

Im offenen Brief, den unter anderem Margarete Stokowski, Kathrin Passig und Sascha Lobo unterschrieben, zeigen sich die Unterzeichnenden enttäuscht über die Entscheidung des Verlags, Woody Allens Autobiographie in sein Programm aufzunehmen. Gleichzeitig machen sie deutlich, dass es ihnen „nicht darum [geht], die Veröffentlichung grundsätzlich zu unterbinden.“ Dennoch würde eine Publikation ihrer Meinung nach einen Rückschritt hinter die Diskussionen der letzten Jahre darstellen – eine Anspielung auf die #MeToo-Bewegung, die sich für Überlebende sexueller Angriffe einsetzte.

„Himpathy“ für Woody Allen

Wie immer, wenn einem weißen1 Mann etwas weggenommen werden soll, das ihm vermeintlich zusteht, ist die Entrüstung groß. Ich erinnere mich noch gut an die sprachlose Empörung Brett Kavanaughs, als es kurz so aussah, als könnten die Vorwürfe von Dr. Christine Blasey Ford seine Nominierung als Richter am Obersten Gerichtshof der USA verhindern – war dann natürlich doch nicht so. Schnell und ungebeten melden sich dann andere weiße Männer unterstützend zu Wort.

Da räumt der Spiegel zwar ein, dass „ein Mensch vielleicht toxisch ist, gemein oder niederträchtig“. Aber die Schlussfolgerung lautet: „und genau deshalb [müssen] seine Bücher erscheinen“. Ein weiteres Beispiel dieser „Himpathy“ lesen wir im Feuilleton der FAZ: „Woody Allen haben nicht nur Amazon und eine ganze Reihe von Schauspielern [sic!] fallengelassen wie eine heiße Kartoffel, sondern nun auch der Verlag Hachette, der seine Autobiographie „Apropos Of Nothing“ nicht herausbringen wird […].“ Im nächsten Atemzug nennt der Autor Kevin Spacey und Jörg Kachelmann, die beide ihren guten Ruf nach Gerichtsverhandlungen verloren hätten.

Anscheinend hat also auch Woody Allen um seinen guten Ruf zu fürchten. Doch davon, dass die Vorwürfe, die bereits im Jahr 1992 aufgetaucht sind, sein Leben und seine Karriere ruiniert hätten, kann keine Rede sein: Woody Allens Vermögen beläuft sich auf rund 80 Millionen US Dollar. Er wurde im Lauf seiner Karriere für 200 Preise und Auszeichnungen nominiert und hat 130 davon bekommen. Seit 1965 hat er fast jedes Jahr einen Film veröffentlicht. In „A Rainy Day in New York“ (2019) spielen unter anderem die Stars Selena Gomez und Jude Law mit. Für dieses Jahr ist auch wieder eine Veröffentlichung geplant, „Rifkin’s Festival“, unter anderem mit Oscar-Preisträger Christoph Waltz. Klingt nicht ganz nach dem Schicksal einer fallengelassenen heißen Kartoffel.

„Im Zweifel für den Angeklagten“ ist kein Freifahrtschein

Die rhetorische Taktik, eine Verbindung zu Kevin Spacey zu ziehen, ist perfide. Dem Schauspieler wurden über 30 Vorwürfe sexuellen Missbrauchs gemacht, aber nur einer wurde vor Gericht gebracht (teilweise waren die Fälle schon verjährt). Das Verfahren wurde eingestellt, weil der Hauptzeuge nicht vor Gericht erscheinen wollte. Die gleiche Problematik lag bei Harvey Weinstein und Bill Cosby vor: Auch hier gab es zahlreiche Überlebende, die kein Recht mehr auf eine Anzeige hatten, weil die Vorfälle schon zu lange zurücklagen.

Aber das ist genau das Problem: Es ist unglaublich schwierig, Menschen für Vergewaltigung oder andere Arten sexuellen Missbrauchs zu verurteilen. Harvey Weinsteins Opfern wurde geglaubt und der Hollywood-Mogul am Mittwoch zu 23 Jahren Gefängnis verurteilt. Hohe Gefängnisstrafen sind jedoch eher die Ausnahme als die Regel, da es aufgrund der Art des Verbrechens oft keine weiteren Zeug*innen gibt. Das erkennt auch der oben zitierte FAZ-Artikel: „Die Wahrheit kennen, wenn nicht noch ein Augenzeuge auftaucht, nur diese beiden.“ Daraus zieht er jedoch genau die falsche Schlussfolgerung. Gemäß dem juristischen Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ bestehe daher die Unschuldsvermutung. Soweit stimme ich natürlich zu.

Aber wir sprechen hier nicht von juristischen Vorgängen: Woody Allen wurde ja nicht ohne Schuldspruch ins Gefängnis geworfen. Es hat sich bislang nur ein Verlag dazu entschlossen, Woody Allens Autobiographie nicht zu veröffentlichen. Ja, er hat das Recht auf einen fairen Prozess. Er hat jedoch kein Anrecht darauf, dass Verlage weltweit sein Geschreibe veröffentlichen (dazu anscheinend noch ohne Faktencheck durch den Verlag, was zeigt, wie wenig Glaubwürdigkeit man den Geschichten der Opfer beimisst). Und er hat kein Recht darauf, an (seiner Version) der Missbrauchsgeschichte Tantiemen zu verdienen: Die deutsche Hardcover-Version soll 25 Euro kosten.

Wenn es mich zur „Moraltrompeterin“ macht, diese verquere Anspruchshaltung von weißen Männern zu kritisieren, dann: „töröö“.


Anmerkung

1 weiß ist hier kursiv geschrieben, um auf die Konstruktion von Hautfarben hinzuweisen. Die Bezeichnung verweist in ihrer politischen Dimension auf die Privilegien, die hellhäutige Menschen genießen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert