Bevor ihr anfangt, zu lesen, ein kleines Vorwort. Nur um es klarzustellen: Ich liebe Make-Up. Ich trage falsche Wimpern. Ich verwende viel Zeit und Geld auf mein Aussehen und ich kann mir vorstellen, später Schönheitschirurgie in Anspruch zu nehmen. Doch genau deshalb bin ich die Richtige, um diesen Text zu schreiben. Denn regelmäßig in die Beautyindustrie zu investieren, bedeutet nicht, dass man sie nicht auch kritisieren kann. Außerdem gibt es natürlich noch sehr viel mehr zu Kosmetik zu sagen, genau so zu der Art, wie wir Femininität performen, als hier angesprochen werden wird. Trotzdem halte ich es für wichtig, die Schönheitsindustrie einmal aus einer klar kapitalismuskritischen Perspektive zu betrachten.
Schönheit und Kapitalismus: Der große Markt der Schönheitsindustrie
Die Kosmetik- und Schönheitsindustrie ist ein riesiger Markt. Selbstverständlich ist es nie das Ziel der diversen Unternehmen und Marken, uns die Möglichkeit zu Genderperformance und persönlichem Ausdruck zu geben, sondern schlicht und einfach Geld zu machen. Willkommen im Kapitalismus. Um die eigenen Gewinne immer weiter zu steigern, muss diese gesamte Industrie sich ständig etwas Neues ausdenken, neue Ideen, Farben, Behandlungen und Produkte. Dann müssen sie uns auch noch einreden, dass wir diese Produkte wirklich brauchen, dass sie unser Leben besser machen, uns selbst attraktiver, wertvoller, begehrlicher, ja sogar hygienischer. Und so wechseln wir halbjährlich von matten Lippenstiften zu Gloss und wieder zurück, von glitzernd zu samtig zu seidig und kaufen, kaufen, kaufen.
Ja, hör doch einfach auf, würden viele jetzt sagen. Aber das ist leichter gesagt als getan, denn wir erinnern uns: Diese Produkte machen uns besser, attraktiver, wertvoller, begehrlicher und hygienischer. Durch Instagram, YouTube und Co. wirkt dieser Erfolg, diese Schönheit, die Kosmetik angeblich mit sich bringt, noch erreichbarer. Perfekt zurechtgemachte und digital bearbeitete Menschen strahlen uns an und alle sind das, was wir mal werden wollen: besser, attraktiver, wertvoller, begehrlicher, hygienischer. Diese Menschen sind erfolgreich und haben ihr Leben im Griff und wenn wir nur ein bisschen mehr wie sie wären, könnten wir auch all das sein.
Also geben wir Geld dafür aus, „natürlich“ und makellos auszusehen. Dabei gaukeln wir anderen ebenfalls vor, dass diese Perfektion und der damit verknüpfte angebliche Erfolg erreichbar seien, wenn wir nur weiter investieren. So leben Beautyblogger*innen auf Kosten ihres meist weiblichen Publikums, indem sie eine Traumwelt verkaufen, die ihre Sponsor*innen kreiert haben. Es geht sogar so weit, dass durch Menschen wie Kylie Jenner Schönheits-OPs und Abnehmprodukte an sehr junge Frauen vermarktet werden. Solidarity forever, my arse.
Über Microblading und Altersarmut
Wenn man nun noch bedenkt, dass Frauen finanziell weltweit schlechter gestellt sind und Altersarmut für Frauen ein wirklich ernsthaftes Problem darstellt, kann man schon mal wütend werden. Wenn man darüber nachdenkt, wie normalisiert es ist, zu arbeiten und das erarbeitete Geld in Schönheitspflege zu stecken, nur um auf der Arbeit „präsentabel“ zu sein. Obendrauf kommt noch die sogenannte Pink Tax, bei der Produkte, die an Frauen vermarktet werden, teurer sind als die Versionen für Männer. Mit uns kann man es ja machen, denn wenn wir nicht in diesen Konsum einsteigen, sind wir ja leider nicht besser, attraktiver, wertvoller, begehrlicher und hygienischer. Würden wir das ganze Geld, das wir zurzeit in Kosmetik, Parfum, Microblading, Lash Lifting und Waxing stecken, in unsere Zukunft investieren, wären wir im Alter vielleicht nicht reich, allerdings vermutlich deutlich bessergestellt, als wir es jetzt sind.
Heimlicher Klassenkampf
Gleichzeitig schürt die Verknüpfung von Kapitalismus und Schönheitsindustrie eine Teilung zwischen uns Frauen. Wir sollten zusammenstehen, stattdessen werden wir zu Haves und Have Nots: den Menschen, die an dieser Industrie teilhaben können und denjenigen, denen die finanziellen Ressourcen dafür fehlen. Ein heimlicher Klassenkampf, der sich dadurch verfestigt, dass die Kosmetikindustrie unsere Schönheitsideale vorgibt und schöne Menschen als erfolgreicher und intelligenter wahrgenommen werden, wodurch sie angeblich Jobs eher bekommen und ihnen generell mehr Türen offenstehen. Guckt man jetzt noch, wer an all diesen Kosmetikfirmen profitiert, stehen an der Spitze dieser Konzerne fast immer Männer. Männer, die durch das Patriarchat eh schon bevorzugt sind und jetzt auch noch an uns verdienen, indem sie uns mit der Macht, die ihnen die Verknüpfung von Patriarchat und Kapitalismus erteilt, diktieren, wie wir zu sein haben.
Besser, attraktiver, wertvoller, begehrlicher, hygienischer.
Lady Tea ist ewige Studentin, Veganerin und klassisch extrovertiert. Sie lebt minimalistisch und liebt ihr adoptiertes Shetlandpony. Sie schreibt ungern nüchtern.
Nicht nur Geld wird investiert, sondern auch Zeit, die für etwas anderes (vielleicht besser?) benutzt werden kann.