Frauen schreiben Liebesgeschichten, Männer schreiben hartes Zeug. Diese Aussagen sind weit verbreitete Vorurteile. Noch bevor eine Geschichte gelesen wird, bilden wir uns anhand des Namens der Verfasser*innen (der zumeist einen Hinweis auf das Geschlecht der Schreibenden gibt) ein Urteil über den Inhalt und die Qualität. Frauen werden dabei zumeist schlechter beurteilt als Männer. Dies trifft insbesondere in der Phantastik-Szene zu, wo sich Frauen hauptsächlich mit Romance Fantasy einen Namen machen können, also Fantasy-Romane mit einem starken Fokus auf Liebesgeschichten. Doch ist es überhaupt wichtig, dass der Name der Autor*innen auf dem Cover zu sehen ist? Werden Bücher von Frauen tatsächlich anders beurteilt als die von Männern? In diesem Beitrag geht es um ein Projekt, das genau das herausfinden möchte.
Schon das Projekt #Frauenzählen hat in einer groß angelegten Studie herausgefunden, dass Frauen in der Literaturwelt häufig unterrepräsentiert sind. Dies liegt nicht daran, dass Frauen weniger schreiben als Männer, sondern daran, dass sie weniger beachtet werden. Zum Beispiel werden Bücher von Frauen seltener besprochen als Bücher von Männern. Auch besprechen männliche Rezensenten hauptsächlich Bücher ihrer Geschlechtsgenossen. Bücher von Frauen werden häufig mit Büchern von Männern verglichen, Bücher von Männern jedoch selten mit Büchern von Frauen. Maßstäbe setzen nur Bücher von Männern, an denen sich alle Schreibenden messen lassen müssen.
Unknown – Erzählungen unbekannter Herkunft
Das Projekt Unknown – Erzählungen unbekannter Herkunft wurde von Lektorin Hanka Leo und Autorin Sonja Rüther auf Kickstarter initiiert. Es untersucht, ob Geschichten wirklich den Namen der Verfasser*innen benötigen, oder ob es völlig gleich ist, von wem eine Geschichte stammt. Die Initiatorinnen schreiben über Vorurteile gegenüber Schreibenden beiderlei Geschlechts bezüglich Genre und Qualität des Textes, mit denen sich Literaturschaffende ständig auseinandersetzen müssen.
Das Projekt wurde über Kickstarter ermöglicht, 130 Unterstützer*innen finanzierten es mit knapp 5.000 Euro. Die Initiatorinnen wollen herausfinden, ob es auch ohne Namen der Verfasser*innen möglich ist, auf das Geschlecht zu schließen oder ob die Geschichten ganz für sich stehen können. So soll unter anderem herausgefunden werden, ob es tatsächlich einen typisch weiblichen oder typisch männlichen Schreibstil gibt.
Dazu wurden bekannte Schriftsteller*innen um Kurzgeschichten gebeten, die ohne die Nennung ihrer Namen veröffentlicht werden. Es sollen insgesamt sechs kleine Hefte mit je zwei Geschichten herausgebracht werden. Dazu werden dann die Leser*innen um ihre Einschätzung gebeten. In einer Lesung am Ende des Projektes wird enthüllt, welche Geschichte von welcher*m Autor*in geschrieben worden ist. Bereits Anfang 2020 soll das erste Heft erscheinen, im Herbst folgt die Anthologie (Kurzgeschichtensammlung), in der alle Geschichten mitsamt Auswertung veröffentlicht werten.
Während der Kickstarter lief, wurden regelmäßig Updates und Berichte veröffentlicht. Darin berichten Brancheninterne von ihren Erfahrungen und Erkenntnissen im Zusammenhang mit Autor*innennamen. So erzählt beispielsweise Autor und Rezensent Stefan Cernohuby:
„Hätte nicht der Name dieses [bekannten] Autors auf dem Cover gestanden, hätte ich das Buch spätestens nach 20 Seiten aus der Hand gelegt und nie wieder angefasst. […] Ich kam zu der Ansicht, dass es letztendlich nicht relevant ist, wer ein Buch geschrieben hat, sondern wie es sich selbst präsentiert – Stil, Spannung, glaubwürdige Charaktere.“
Auch berichten Autorinnen von Vorurteilen, mit denen sie sich auseinandersetzen mussten. Nicht selten wurden ihnen von vornherein eine mangelnde Qualität und bestimmte Genres zugeschrieben. Frauen schreiben entweder Romance oder Kinderbücher, für andere Genres werden sie belächelt. Bücher von Frauen werden als „Frauenliteratur“ abgetan. Zeigen Frauen als Autorin ihr Gesicht, steigt womöglich das Interesse an ihnen, aber nicht unbedingt an ihren Büchern. Auch deshalb greifen einige weibliche Autorinnen zu geschlechtsneutralen oder gar männlichen Pseudonymen, wie es zum Beispiel J.K. Rowling gemacht hat.
Frauen (die schreiben) sind gefährlich
Sonja Rüther gibt an, aus eben diesem Grund das Projekt Unknown – Erzählungen unbekannter Herkunft ins Leben gerufen zu haben. „Ich möchte diese Maschinerie nicht mitmachen“, sagt sie. „Ich möchte mit meinem Namen hinter meinen Werken stehen, ohne dafür Einschränkungen hinnehmen zu müssen.“ Das Wort Frauenliteratur löse bei ihr einen Horror aus. Und auch ich frage mich: Was soll man sich darunter vorstellen? Fangen wir an zu menstruieren, wenn wir diese Bücher lesen? Werden sie mit Tampons und Binden ausgeliefert: Beim Kauf meines Buches bekommst du eine Menstruationstasse gratis!
Dürfen Frauen keinen Horror lesen? Oder High Fantasy? In der Literatur gibt es verschiedene Genres, darunter auch Liebesromane. Diese Romane als Frauenliteratur zu betiteln, ist diskriminierend, vor allem, weil auch Männer gern Liebesgeschichten lesen – oder dürfen die das dann nicht? Selbst bei Horrorgeschichten werden mit weiblichen Namen auf dem Cover ein Übermaß an Gefühl und Liebe assoziiert. Bei Horrorgeschichten!
Deshalb geht es beim Projekt Unknown – Erzählungen unbekannter Herkunft nicht nur darum, die Benachteiligung der Frauen in der Literatur in den Fokus zu ziehen, sondern auch darum, auf Einschränkungen für Männer aufmerksam zu machen. Es geht um den Dialog, ohne Frontenbildung. Es sollte selbstverständlich werden, auch auf die weibliche Seite der Literatur zu schauen, anstatt grundsätzlich männliche Autoren hervorzuheben. Gerade zu diesem Thema verhärten sich schnell die Fronten, dabei ginge es gar nicht um das Wollen, sondern um das Verständnis, so Sonja. „Man muss sich darauf einlassen können, dass es eben Menschen gibt, die blöde Erfahrungen machen, und man sollte froh sein, dass man diese nicht machen muss.“ Dieses Verständnis fehle häufig.
So ging es mir neulich, als ich für das Phantastik-Autoren-Netzwerk meinen Steckbrief ausfüllen und angeben sollte, welche Autor*innen mich geprägt haben. Ich schrieb sofort drauf los, hielt dann inne und bemerkte, dass ich ausschließlich Männer aufzählte. Erst nachdem ich ein paar Sekunden überlegt hatte, fielen mir unzählige Autorinnen auf, die mich stark beeinflusst haben.
Sonja erzählt mir auch, wie sie verwundert angesehen wurde, sobald sie erwähnte, dass sie sich Schreiburlaub nehme. „Dass dein Mann das mitmacht?!“, hieß es da. Da fiel mir glatt ein, wie ich letztes Jahr auf einer Lesung eine dicke Krawatte bekam, als ein Autor erzählte, er wäre für sein Buch mehrere Monate nach Afrika abgehauen, hätte Frau und Kinder in Deutschland zurückgelassen, weil man ja, wenn man Familie und Job habe, nicht schreiben könne. Es scheint in Ordnung zu sein, wenn männliche Autoren ihre Familien zurücklassen, um ihre Kreativität nicht zu gefährden. Sobald eine Frau diese Ansprüche erhebt, geht die Gesellschaft auf die Barrikaden. Weil Männer Literatur schreiben und Frauen eben Geschichtchen.
Sonja und ich haben beide einen Liebesroman geschrieben. Und beide fangen wir sofort an, uns zu verteidigen: Die Geschichte sei ohne Kitsch, ohne Schmalz, ohne Dreiecksbeziehungen, ohne Intrigen. „Eigentlich sollte das gar nicht nötig sein“, meint Sonja, „aber die Schublade, in die man da gestopft wird, ist so groß, dass es schwierig wird, da wieder rauszukommen.“ Mein Standardspruch, wenn ich gefragt werde, welches Genre ich schreibe: „Ich schreibe Phantastik, aber nicht so wie Twilight.“ Wieso muss ich das dazusagen? Warum ist so klar, dass Bestseller, die vielen Menschen gefallen haben – meist Frauen – minderwertig sind?
Verlegen ohne Namen
Das Umdenken in der Literatur hat bereits eingesetzt, jedoch nicht bei den Großverlagen. Verleger*innen wie Grit Richter vom Art Skript Phantastik Verlag anonymisieren eingereichte Kurzgeschichten für Anthologien, um eine neutrale und gerechte Einschätzung der Geschichte treffen zu können. In ihrer aktuellen Anthologie geht es um das Thema Bienen in einem Science-Fiction-Setting. Sie gibt an, dass sich für ihre neue Anthologie erstaunlich viele Frauen qualifiziert haben. Auch hätten mehr Frauen Kurzgeschichten eingereicht als Männer, obwohl Science Fiction ein Feld ist, das hauptsächlich von Männern bedient wird.
Wenn Grit Richter Geschichten in ihre Anthologien aufnimmt, deren Verfassende bereits in anderen Sammlungen publizierten, liegt das laut der Verlegerin daran, dass diese Autor*innen durch Qualität überzeugen können. Diese würde sich durchsetzen, auch ohne dass die Geschichten mit den Namen der Verfasser*innen versehen werden. Sie erhalte zu einer Ausschreibung massenweise Kurzgeschichten, es würden jedoch nur die ausgewählt, die durch eine kreative und originelle Story auffielen. Außerdem sagt sie, dass sie durch die Anonymisierung die Geschichten mit freiem Kopf lesen kann.
„So kann ich mich voll und ganz auf die Geschichten konzentrieren, die ich gerade lese. Außerdem freue ich mich jedes Mal, wenn ein neuer unbekannter Autor oder eine unbekannte Autorin dabei ist. So erhalte ich neuen Input und erhöhe die Vielfältigkeit in den Sammlungen.“ Dieses Verfahren würden auch einige andere Verlagen nutzen. Jedoch sind dies nur zur Zeit nur wenige.
Es geht nicht darum, ständig auf diesen Missstand aufmerksam zu machen, sondern darum, sein Verhalten zu ändern. Auch sollen nicht Namen auf Covern grundsätzlich fehlen. Namen haben eine gewisse Macht und unbestritten einen Einfluss auf uns. Jedoch haben Kreativität und Talent nichts mit dem Geschlecht zu tun. Es sollte egal sein, wer das Buch geschrieben hat, solange die Geschichte gut ist.

Anja ist Jahrgang 1982 und wuchs im schönen Thüringen auf. Sie arbeitete in internationalen Unternehmen und studierte später Wirtschaftspsychologie. Ihr Geld verdient sie als freie Autorin im Bereich Wissenschaft und veröffentlicht unter eigenem Namen Romane in der Phantastik, hauptsächlich Urban Fantasy und Steampunk. Ihr Debüt „A Fairy Tale“ war 2018 auf der Shortlist für den Deutschen Phantastik Preis.
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