Mal eben die Zitronenschale abreiben: eine Wutrede gegen hippe Kochbücher

Mal eben die Zitronenschale abreiben: eine Wutrede gegen hippe Kochbücher

Kochen kann prinzipiell cool sein. Aber die Arroganz, die einige Kochbücher ausstrahlen, kann eine*r regelrecht die Lust daran nehmen. Eine Wutrede, nicht ganz objektiv beurteilend geschrieben.

Alter, wie arrogant sind denn eigentlich hippe Kochbücher? Wenn ich eine stressige Phase habe, zum Beispiel von meinem unterdurchschnittlich bezahlten Job, einem meiner Ehrenämter oder meinem Studium nach Hause komme, verwende ich die letzten Energieressourcen selten noch zum Kochen. Nix da, sagt mir mein neuestes, auf recyceltem Apfelmüll gedrucktes Veggie-Kochbuch. „Jeder hat ein paar Minuten am Tag übrig, um sich ein Abendessen zu zaubern, das lecker und darüber hinaus auch noch gesund ist“, strahlt mich die Autorin darin an.

Ich fühle mich von Sätzen, die mit „Jeder“ anfangen, nie wirklich angesprochen. Aber ich verstehe, welchen Gedanken das bei mir auslösen soll: Aha, soso, jetzt gibt es wirklich keine Ausreden mehr. Ab an den Herd – und mach doch gleich ein hübsches Foto davon, wie du nach einer 40-Stunden-Woche mal eben schnell noch Gemüse wäschst und schälst und würfelst und anbrätst und würzt und parallel dazu Süßkartoffelpommes selber machst, #instapowerfrauhatihrlebenimgriff!

Aber Zeit soll ja kein Ausschlusskriterium sein. In meinem Kochbuch gibt es Rezepte, die in zehn Minuten ausführbar sein sollen. Ich beneide die Autorin um die unsichtbare Fee, die für sie sämtlichen Kochmüll beseitigt und den Abwasch erledigt. Sie muss so ein Fabelwesen besitzen, denn irgendwie wird das ganze Aufräumen danach nie mitbedacht. Natürlich nimmt Kochen mindestens eine halbe Stunde in Anspruch, jedes fucking Mal. Oder liegt es an mir? Bin ich einfach zu langsam? Lass mal kulinarische Selbstzweifel schieben; die im restlichen Leben reichen noch nicht.

Unterschwellige Demütigung schreit mich zwischen den Zeilen an, auch wenn es um die Auswahl der Zutaten geht. Kauf halt sechs Tonnen neue Gewürze und Pasten und Soßen, das sind echt Investitionen, die nur ein halbes Monatsgehalt kosten. „Ich habe immer mindestens zwei Sorten Olivenöl bei mir zu Hause stehen“, gibt die Autorin schamlos an, „ein normales zum Anbraten und ein natives.“ Letzteres setzt sie absolut wirklich nie hohen Temperaturen aus, weil gefährliche Gase oder so und oh my gosh, dass ich überhaupt noch lebe – ich kaufe Pesto im Glas?! Fertig gemahlenen Pfeffer (super praktische Sache, hole ich immer im Supermarkt) bezeichnet sie als „Schießpulver“; ach nee, das war der lookistische Vegankoch mit den Ledersesseln in seinem Porsche.

„Jeder kann kochen“, beweist der berühmte Animationsfilm mit der sympathischen Ratte. Das stimmt, sogar jede*r kann das. Googeln heißt das Geheimnis. Oder zugucken und sich Dinge merken. Oder Samstag daran denken, dass Sonntag die Läden zu haben. Unter diesen Umständen kann auch ich kochen – Diggi, kann ich kochen! Ich habe nur gerne Spaß an der Sache, und den habe ich prinzipiell erst, wenn ich parallel dazu nicht an tausend andere Dinge denken muss, die ich bis morgen früh erledigt haben will. In meinen vielbeschäftigten Phasen bin ich verdammt dankbar dafür, dass irgendwann mal Menschen auf die Idee gekommen sind, Essen für mich zu machen und es in Kühlregalen auf mich warten zu lassen.

Warum ich überhaupt dieses Kochbuch besitze? Ich hab’s geschenkt bekommen von einer mittlerweile ehemaligen Liebschaft. Vorn lag ein Zettel drin: „Liebe Irene, alles Gute zum Geburtstag. Du fetzt sehr. PS.: Kochen fetzt auch.“ So süß. Ich habe den Zettel dann in meinem Mörser zermahlen und als Topping über meine Avocado-Kale-Chiasamen-Bowl gestreut. War glutenfrei.

One thought on “Mal eben die Zitronenschale abreiben: eine Wutrede gegen hippe Kochbücher

  1. Ich bin duch Instagram auf den Artikel aufmerksam geworden und hatte eine amüsante Rezension erwartet. Nun bin ich etwas sprachlos. Ich arbeite selbst 45-50 Stunden und koche danach immer noch – was nicht bedeutet, dass das jeder so machen muss. Und wie die Kochbuchautorin habe auch ich zwei Olivenöle und dazu noch Rapsöl und Erdnussöl. Mir war bis zum Lesen dieses Artikels tatsächlich nicht bewusst, dass das bei anderen Wut auslösen kann. Ich rätsel also immer noch, wo nun das Problem liegt: Dass das Kochen mit allem drum und dran nicht 10, sondern 30 Minuten dauert? Oder dass ein Kochbuch tatsächlich voraussetzt, dass der Leser Gewürze und Öl zu Hause hat? Wenn das schon zu Wut führt, was denn noch alles?

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