Ein Studium zu absolvieren ist anstrengend, aber auch schön. Für die meisten endet das Studium mit der Abschlussarbeit und dem Bachelor-Titel. Für andere mit … nichts. Manche entscheiden sich selbst, das Handtuch zu werfen. Bei anderen hingegen erfolgt eine Zwangsexmatrikulation. Das kann passieren, wenn man gegen die Hochschulprüfungsordung verstoßen oder zu häufig ein Fach nicht bestanden hat.
Und dann steht man da mit seinen Credits und seinem Wissen und kann im Prinzip nichts damit anfangen. In meinem Fall waren es 175 von 180 Credits und ein Notendurchschnitt von 1,6. Das ist bitter. Dem Professor war es egal. Vom Chef des Studierendensekretariats durfte ich mir anhören, ich wäre faul gewesen. Und der Dekan legte mir meine damals schwierige Situation sogar zu meinem Nachteil aus, anstatt dies zu berücksichtigen. Ich habe alleinerziehend mit zwei Kindern studiert, war in politischen Gremien aktiv, hatte ein Ehrenamt beim Gleichstellungsbüro inne und arbeitete nebenbei. Ich war die Vorzeige-Studentin mit Baby, wenn es darum ging, die Hochschule in der Presse als familienfreundlich dastehen zu lassen. Als ich dann ein Problem hatte, war ich nicht mehr brauchbar.
Ich habe keine Statistiken dazu gefunden, bei wie vielen Studierenden es pro Semester zu einer Zwangsexmatrikulation kommt. In meinem Jahrgang traf es damals drei Leute, mich eingeschlossen – womöglich sieht es in anderen Studiengängen noch schlimmer aus.
Zwangsexmatrikulation: Krieg oder Frieden?
Bei einer Zwangsexmatrikulation müsst ihr euch quasi entscheiden, ob ihr in Krieg oder Frieden aus dem Studium scheiden wollt. Es hat beides Nachteile. Im Krieg gebt ihr eure letzten Reserven aus, eure Nerven liegen blank, weil die Hochschule einfach am längeren Hebel sitzt, der Anwalt kostet ein Heidengeld und das Ende ist ungewiss.
Ich habe ich damals für den Krieg entschieden. Ich habe erst stundenlang mit der Hochschule geredet und um Prüfungswiederholung gebettelt. Ich habe einen Anwalt eingeschaltet. Die Angelegenheit mutierte zur Schlammschlacht. Am Ende ließ ich mich aus Verzweiflung auf einen faulen Deal ein, bei dem ich nur verlieren konnte.
In meinem Fall war der Leiter des Studierendensekretariats wohl beleidigt, weil ich mich wehrte. Jedenfalls schöpfte er die Bearbeitungszeit von drei Monaten bis zum Ende aus, so dass seine zweizeiligen Briefe am letzten Tag vor Ablauf der Frist ankamen – vor dem Stichtag, ab dem man Verfahrensverschleppung hätte vermuten können. Das hat mich in die Schuldenfalle getrieben. Denn da ich noch immatrikuliert sein musste, um diesen Streit zu führen, durfte ich kein Hartz IV beantragen. Das darf man erst, wenn man exmatrikuliert oder beurlaubt ist und das geht mitten im Semester nicht. Ich musste Kredite aufnehmen und meine Kreditkarte bis zum Ende ausschöpfen, um das laufende Semester zu überstehen. Diese Belastungen zahle ich noch heute ab, vier Jahre später. Durch dieses Hinauszögern zog sich mein jähes Ende um eineinhalb Jahre hin.
Geht ihr in Frieden, findet ihr ein schnelleres Ende. Aber eure Nerven liegen auch nicht völlig blank und euer Selbstbewusstsein kann sich schneller erholen. Dafür bleibt die Bitterkeit, es nicht doch versucht zu haben und den Abschluss ohne Kampf in den Wind geschossen zu haben. Auf der anderen Seite könnt ihr euch eher auf einen Neuanfang konzentrieren. Und das ist das Wichtigste.
Am Anfang war das Nichts …
Nach der Zwangsexmatrikulation beginnt man wieder von Null. Wichtig ist, dass ihr euch erstmal Zeit für euch selbst nehmt. Viele Menschen in eurer Umgebung werden erwarten, dass ihr euch so schnell wie möglich erholt und auf Jobsuche begebt. Das setzt euch unter Druck. Am besten stellt ihr sofort klar, dass ihr das in eurem eigenen Tempo macht.
Wenn man plötzlich vor dem Scherbenhaufen steht, fällt man in ein tiefes Loch. Wie tief es ist, hängt vom Zustand eurer Psyche ab. Mein Loch war verdammt tief. Da müsst ihr erstmal rausfinden. Es bringt in so einem Zustand überhaupt nichts, wenn man sofort anfängt nach irgendwas anderem zu suchen. Ihr solltet stattdessen diese Zeit nutzen, um herauszufinden, was ihr wirklich wollt. Kommt zur Ruhe und verfallt nicht sofort in einen blinden Aktionismus – auch wenn ihr Panik habt vor dem, was kommen könnte.
Wenn ihr unbedingt ein Studium braucht, um euren Traumberuf auszuüben, dann könnt ihr nach Alternativen schauen. Ihr könnt zum Beispiel bei anderen Hochschulen in Deutschland nachsehen, ob ihr dort weitermachen könnt. Oft ist man aufgrund der endgültig nicht bestandenen Prüfungsleistung lediglich von diesem einen Fach ausgeschlossen. Das heißt, ihr müsst nach alternativen Studienfächern suchen. Auch Privatschulen sind eine Option, da diese unter anderen Gesetzen agieren. Sie haben allerdings den Nachteil, dass sie extrem teuer sind. Ihr könntet allerdings darüber nachdenken, euer Geld statt dem Anwalt lieber einer Privatschule zu geben. Meist habt ihr mehr davon.
Ist ein weiteres Studium keine Option – weil zu alt und kein Bafög-Anspruch mehr (wie in meinem Fall) – dann ist die Jobsuche fällig. Dazu solltet ihr euch allerdings ein dickes Fell zulegen. Denn wenn ihr glaubt, dass eure Studienleistungen anerkannt werden und ihr trotzdem in dem Studienberuf arbeiten könnt – vielleicht nur mit weniger Gehalt – dann habt ihr euch gewaltig geirrt. Deutschland ist ein Land, in dem nur das Papier zählt. „Ohne Abschluss? Dann können Sie ja gar nichts!“ Genau! Und meinen Notendurchschnitt von 1,6 haben die Professoren ausgependelt? Auf solche Sprüche müsst ihr euch gefasst machen. Genauso wie auf Jobberater*innen beim Arbeitsamt, die keine Ahnung haben, was sie mit euch anfangen sollen – schließlich könnt ihr ja nichts. Das kann extrem frustrieren. Da man ohne Arbeit, dafür aber mit Hartz IV, nicht menschenwürdig leben kann, ist Arbeit leider wirklich von Nöten, auch wenn ihr in eurem Zustand überhaupt nicht die Nerven dafür habt.
Wenn es möglich ist, dann könntet ihr über eine Ausbildung nachdenken – vorausgesetzt ihr habt noch keine. Aus der Ausbildung heraus könnt ihr dann immer noch über diverse Weiterbildungen und Wege einen höheren Abschluss erlangen, zum Beispiel einen Meisterabschluss, oder ihr könnt ein Fernstudium bezahlen. Ein anderer Weg ist, erstmal einen anderen Job anzunehmen, vielleicht in euren Ausbildungsberuf zurückzukehren. Auch, wenn dies vielleicht zunächst „unter eurer Würde“ zu sein scheint, könnt ihr in diesem Zustand verweilen, bis ihr wieder genug Selbstbewusstsein habt, um ein anderes Studium aufzunehmen oder bis euch klar ist, dass ihr eigentlich was ganz anderes wollt.
Vorstellungsgespräche in einem Zustand völliger Resignation oder Frustration zu führen, ist nicht gerade sehr berauschend. Eine falsche Frage und schon ist man total verunsichert, verhaspelt sich und sieht sich auf verlorenem Posten – vor allem bei Fragen wie „Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?“ oder „Warum haben Sie sich ausgerechnet bei uns beworben?“. Daher ist es wichtig, dass ihr euch auf das besinnt, was ihr wirklich gut könnt. Bei einem Gespräch war ich so ermüdet von all den Absagen, dass ich meinen Gesprächspartner gebeten habe, mir doch bitte einfach einen langweiligen Job zu geben, damit ich meine Miete bezahlen und meine Kinder ernähren kann. Den Job hab ich natürlich nicht bekommen.
Die Zwangsexmatrikulation als Glück im Unglück?
Ich habe mal von einem gelesen, der beim Depressions-Besäufnis in einer Bar ein hohes Tier einer Firma kennengelernt hat, der ihn sofort eingestellt hat. Ich bin mir nicht sicher, ob ihr darauf vertrauen solltet. Eher nicht.
Aber auch mir hat nach meiner Zwangsexmatrikulation der Zufall geholfen. Eine Freundin von mir machte gerade einen Master-Abschluss in „Beratung in Weiterbildung, Bildung und Beruf“ und fragte mich, ob ich nicht als Versuchskaninchen herhalten wollte, damit sie Praxisstunden sammeln konnte. Ich war gespannt – und diese Beratung hat mich tatsächlich weitergebracht. Systemische Berater*innen können sich thematisch spezialisieren, sie arbeiten wissenschaftlich fundiert und sind absolut praxisbezogen. Sie beraten dich bezogen auf deine Bedürfnisse und die des Arbeitsmarktes, haben rechtliche Kenntnisse und können dir helfen, eine Richtung zu erkennen, oder gar ein Ziel, auf das du hinarbeiten kannst. Weil ich mich in dieser Zeit als komplette Versagerin fühlte, wies sie mich auf meine Leistungen hin und machte mir dadurch bewusst, was ich alles kann und was ich eigentlich machen will.
Und genau das ist wichtig. Ihr habt jahrelang auf euren Abschluss hingearbeitet, habt vielleicht Nächte durchgemacht, um Hausarbeiten pünktlich abgeben zu können oder tagelang für Prüfungen gelernt. Für diese Leistung fehlt euch nun die Anerkennung in Form eures Abschlusses. Das heißt aber nicht, dass eure Leistungen nichts wert sind. Besinnt euch auf das, was ihr könnt und strickt euch nach und nach ein Ziel daraus.
Ich wurde mir außerdem bewusst, was ich eigentlich will – und das entsprach komischerweise nicht meinem Studienziel. Vielleicht stellt ihr plötzlich fest, dass euch das Ziel, auf das ihr jahrelang hingearbeitet habt, eigentlich gar nicht wichtig ist. Klar, es ist immer gut, wenn man ein Zeugnis vorweisen kann. Aber vielleicht ist das gar nicht ausschlaggebend für euch? Wichtig dabei ist, dass ihr der Zeit Zeit gebt. Ihr könnt nicht erwarten, dass sofort etwas passiert. Bei mir hat es zwei Jahre gedauert, bis mein Ziel fertig gestrickt war, aber seitdem geht es mir besser, sowohl psychisch wie auch finanziell – weil ich wieder arbeiten kann. Aber es hat lange gedauert, bis ich selbst wieder soweit war.
Eine Zwangsexmatrikulation mag euch erstmal als ein Weltuntergang erscheinen, aber das muss es nicht sein. Auch wenn ihr gerade nichts Positives aus eurer Situation ziehen könnt, ist so ein Erlebnis nicht immer das Schlechteste. Vielleicht holt ihr irgendwann euer Studium nach, vielleicht studiert ihr dann aber etwas ganz anderes? Oder gar nicht? Wichtig ist für den Moment, dass ihr euch Zeit nehmt und den Schock verarbeitet, bevor ihr euch sofort in irgendwelche Projekte stürzt. Macht euch bewusst, dass zwar die Situation erstmal scheiße ist, aber nicht das Ende der Geschichte. Und vor allen Dingen: Macht euch nicht schlechter, als ihr seid.

Anja ist Jahrgang 1982 und wuchs im schönen Thüringen auf. Sie arbeitete in internationalen Unternehmen und studierte später Wirtschaftspsychologie. Ihr Geld verdient sie als freie Autorin im Bereich Wissenschaft und veröffentlicht unter eigenem Namen Romane in der Phantastik, hauptsächlich Urban Fantasy und Steampunk. Ihr Debüt „A Fairy Tale“ war 2018 auf der Shortlist für den Deutschen Phantastik Preis.