#wikifüralle 2.0: Frauenfeindlichkeit auf Wikipedia

#wikifüralle 2.0: Frauenfeindlichkeit auf Wikipedia

Erst vor kurzem gab es bei Wikipedia eine heftige Diskussion um die Veröffentlichung einer Liste mit deutschen Science-Fiction-Autorinnen. Es gab bereits eine Liste für männliche Autoren, weshalb die Initiatorin Theresa Hannig einen Ausgleich schaffen wollte. In einem Artikel vom April diesen Jahres berichteten wir darüber [klick!]. Nach mehreren Versuchen, die Liste zu löschen, wurde sie letztendlich veröffentlicht. Jedoch scheint „mann“ nun auf Rache zu sinnen. #wikifüralle geht in die zweite Runde.

Es geht weiter. Diesmal hat es das Nornennetz getroffen. Das Nornennetz ist ein Netzwerk für Fantastik-Autorinnen, also in den Genres Science Fiction, Steampunk, Fantasy, Horror und allen anderen Subgenres. Es wurde gegründet, um schreibenden Frauen, insbesondere in der Fantastik, mehr Stimme und Gehör zu verschaffen. Das Netzwerk ist noch recht jung, jedoch soll es langfristig darum gehen, sich für faire Verlagsverträge und die Beseitigung des Gender Pay Gap – also der ungleichen Bezahlung von Autor*innen unterschiedlichen Geschlechts – einzusetzen. Das Netzwerk ist auf bekannten Buchmessen vertreten und überregional bekannt.

Bereits die Studie #Frauenzählen hat festgestellt, dass Frauen es deutlich schwerer haben als Männer, auf der literarischen Bühne beachtet zu werden. Männliche Rezensenten beziehen sich signifikant häufiger auf männliche Autoren als auf Autorinnen. Es werden dadurch viel mehr Bücher von Männern besprochen und entsprechend finden diese auch mehr Beachtung im Buchhandel und auf Bestsellerlisten. Dies trifft insbesondere auf die Fantastik zu. Hier haben Frauen schon allein mit Vorurteilen zu kämpfen, dass sie ohnehin ausschließlich Romantasy zu Papier bringen würden, also Liebesromane mit Fabelwesen und Magie. Dass Frau Rowling damals nicht ihren vollen Namen auf ihre Harry-Potter-Bücher setzen ließ, hatte einen Grund.

Wiederholungstäter

Der Mann, der die Relevanz eines Eintrags über das Nornennetz auf Wikipedia ankreidet, ist derselbe, der vor ein paar Monaten auch die Liste der Science-Fiction-Autorinnen für „redundant“ hielt. Hat das wohl System? Ein Schuft, wer Böses dabei denkt.

Obwohl das Nornennetz alle Richtlinien von Wikipedia erfüllt, wurde die Seite gelöscht. Der Vorstand hatte nicht einmal Gelegenheit, sich zu den Punkten zu äußern, die vorgebracht worden waren. Am 19. Juli wurde der Erstellerin des Artikels sieben Tage Zeit gegeben, um die „Relevanz zu beweisen“ – heißt tatsächlich so. Am 20. Juli wurde der Artikel jedoch ohne weiteren Kommentar gelöscht.

Die Löschdiskussion mutet dabei selbst sehr merkwürdig an. So wurde dem Nornennetz zum Beispiel vorgeworfen, es sei lediglich eine „Buchvermarktungszweckgemeinschaft“ oder eine „Lesegruppe für Frauen“. Anstatt sich bei den Nornen zu melden und Fragen zu klären, wurden also Behauptungen geäußert, die schlichtweg nicht wahr sind. So wurde zum Beispiel auch behauptet, man könne die Bücher der Mitglieder auf der Seite käuflich erwerben, woraus sich der Vorwurf erschloss, Wikipedia würde als Marketingmedium genutzt werden. Dies ist jedoch auch nicht korrekt. Wikipedia ist dies jedoch mal wieder relativ … wurst.

Das Nornennetz ist eine Interessenvertretung professioneller Autorinnen, wodurch natürlich Relevanz gegeben ist. Dies passt nur leider vielen Männern nicht, vor allem nicht bei Wikipedia.

Männerstammtisch: Mehr Porno, bitte!

Es mutet fast so an, als ob ein Männerstammtisch in der Dorfkneipe bald mehr Diversität zu bieten habe als die deutsche Wikipedia-Szene. Es tauchen ständig neue Artikel auf, in denen Frauen berichten, systematisch aus der Szene herausgeekelt worden zu sein. Es ist von Mansplaining die Rede (Männer erklären Frauen die Welt, obwohl sie selbst häufig weniger bis gar keine Ahnung vom Thema haben), von Verunglimpfung, von sexistischen Kommentaren in Einträgen, die von Frauen geschrieben worden sind. Dagegen wird sich anscheinend auf Themen fokussiert, die aus Sicht der Wikipedia-Autoren wirklich interessant und lebenswichtig sind und die daher zwingend und dringend einen Eintrag in der Enzyklopädie benötigen: Bauchnabelfussel. Hier wird sogar eine Auflistung der künstlerischen Verarbeitung erwähnt (ein Witz in der 80er-Jahre-Serie „Alf“) und ausführlich über Farbe der Fusseln des Rekordhalters im Sammeln von Bauchnabelfusseln informiert. Wer das nicht weiß, stirbt dumm. Dagegen kann natürlich ein Netzwerk, dass die Interessen schreibender Frauen in einem schwierigen Genre vertritt, nicht anstinken.

Wikipedia hat wohl schon seit einiger Zeit Probleme, den Sexismus innerhalb der Plattform in den Griff zu bekommen. Bereits 2012 berichtete die taz über eine „aggressive Kampagne gegen feministische Perspektiven“. Der Aufschrei der besorgten Männer klingt wie der Einleitungssatz eines verrückten Bösewichts, der eine flammende Rede an seine Minions hält: „Eine relativ große Anzahl ausschließlich ideologisch motivierter Personen, denen es nicht um die Verbreitung von korrekten Informationen geht, sondern darum, die eigene Ideologie als Information verpackt zu verbreiten, hat sich bei der deutschen Wikipedia eingenistet und droht die Wikipedia zu übernehmen.“ Zwar konnte die Weiterführung dieser Kampagne damals unterbunden werden, jedoch diskriminieren die Unterstützer bei Wikipedia fleißig weiter. Der Frauenanteil sank in den letzten Jahren drastisch auf unter zehn Prozent – das heißt, über 90 Prozent der Artikelverfasser*innen auf Wikipedia sind Männer. Dies mag auch an der Diskussionskultur der Enzyklopädie liegen. Auf Wikipedia kann jede*r, dem*der irgendwas nicht passt, jeden Artikel melden. Jede*r kann sich zu den Löschanträgen äußern und trollen gehört offenbar zum guten Ton. Wer will sich das schon freiwillig antun? Zudem werden Einträge grundsätzlich im generischen Maskulin geschrieben. Dies geht so weit, dass sich Wikipedist*innen dazu berufen fühlen, einfach fremde Einträge umzuformulieren, sollten diese eine gendergerechte Sprache verwenden. Auf Jetzt.de äußert sich Theresa Hannig bereits in einem Interview über ein genderechtes Wikipedia.

Auch in der WELT wurde schon 2015 darüber berichtet, dass Pornodarstellerinnen bei Wikipedia offenbar eine größere Wichtigkeit eingeräumt wird als deutschsprachigen Lyrikerinnen. Es wurde ein Vergleich geführt und festgestellt, dass sich die Liste der Pornodarstellerinnen durchaus sehen lassen kann. Sie ist gut sortiert und die Einträge zeugen von bemerkenswertem Hintergrundwissen … wohingegen Lyrikerinnen offenbar nicht „Porno“ genug sind. Die Liste der Lyrikerinnen erwies sich als lieblos geführter „Kramkasten“, auf dem man nur über einen unscheinbaren, weiterführenden Link über die Liste der männlichen Lyriker gelangen konnte. Aber generell scheinen bedeutende Frauen nicht wirklich wichtig zu sein, es sei denn, sie sind oder waren nett anzuschauen. So gab es zum Beispiel schon damals einen Streit um den Artikel der Schauspielerin Hedy Lamarr. Dass sie die Erfinderin des W-LANs ist, wurde glatt vergessen, dafür aber wurde ihre außergewöhnliche Schönheit gelobt. Als versucht wurde, die fehlende Information ausführlich einzufügen, wurde diese glatt gelöscht – war offenbar nicht relevant genug. Auf der „Versionsgeschichte“ kann der Streit recht gut nachvollzogen werden.

Was dabei auffällig ist: Es tauchen immer wieder dieselben Namen auf. Es sind offenbar immer dieselben Kerle, die Artikel von und über Frauen abwerten und löschen wollen. So tauchen die Namen, die den Artikel über das Nornennetz löschen wollen, ebenso schon bei Hedy Lamarr auf. Und jetzt sind sie sehr aktiv in der Diskussion um das Phantastik Autoren Netzwerk und andere Verbände der Literaturszene in der Fantastik. Das ist doch ganz schön verdächtig.

Löschanträge als Racheinstrument

Zurzeit scheint es tatsächlich eine Welle der Löschanträge gegenüber Autorinnen und Netzwerken der Fantastikszene zu geben. So wurde am 20. Juli auch der Artikel über das Phantastik Autoren Netzwerk (PAN) zur Löschung nominiert. Das PAN ist ein Interessenverband mit 200 Mitgliedern aus der Fantastikszene. Darunter sind sehr bekannte Autor*innen wie Susanne Pavlovic, Bernhard Hennen und eben auch Theresa Hannig.

In einem Kommentar heißt es dazu tatsächlich: „Im Rahmen einer weiteren Löschdiskussion wurde gezielt dazu aufgerufen, diese Seite zur Löschung vorzuschlagen.“ Es werden demnach gezielt Absprachen getroffen, um unliebsame Artikel über Frauen, Frauennetzwerke oder von Frauen gegründete Netzwerke loszuwerden? Das kann ja eigentlich nicht sein. Wo doch Wikipedia so auf ein ausgeglichenes Gewicht der Kräfte setzt und davon ausgeht, dass es fair zugeht auf ihrer Plattform. Nun, da geht jetzt wohl der Schuss nach hinten los, wenn man einer Horde Trollen einen Bereich überlässt und sie nicht kontrolliert.

In den Kommentaren um die Löschung des PAN-Artikels geben Mitglieder zu, nur dort zu sein, „um Furore“ zu machen. Die „Behaltensrufer“ wären nur da, weil sie von Theresa Hannig angestiftet worden seien, der es ohnehin nur um „Aufmerksamkeitsgewinnung“ ginge und sich als „Rächerin der Frauen“ aufspiele. Außerdem habe sie gerade ein neues Buch veröffentlicht und werbe dafür auf Twitter. Da muss man schon Verschwörungstheoretiker*in sein, um daraus einen Grund für einen Löschantrag zusammenzuspinnen. Ein weiteres Mitglied äußert sich sogar, dass man neue Mitglieder nicht dabeihaben wolle und unterstellt einfach mal Lobbyismus. Wikipedia würde als Werbeplattform genutzt werden, indem Artikel über solche Netzwerke behandelt werden. Es wird von „Neu- und Schläferaccounts“ gesprochen, von einem „Auflauf von twittergecanvasten Socken“, es wird unterstellt, dass alle neuen Accounts von denselben Personen stammen, es werden Sachverhalte konstruiert, die nicht vorhanden sind, und zu guter Letzt wird der Liste der Science-Fiction-Autorinnen mit einem erneuten Löschantrag gedroht.

Auch der Internationale Horror Guild Award stand zur Löschung zur Debatte. In den Löschkommentaren wird darauf hingewiesen, dass es sich bei diesem Antrag um eine Rache handele. In der Fantastikszene werde dieser Antrag als „weiterer Beleg für die Inkompetenz der Wikipedisten in Dingen, die Literatur und den Buchmarkt betreffen, gesehen“.

Das Nornennetz hat auf der Facebook-Seite verkündet, sich gegen die Entscheidung zu stellen. Sie wollen zunächst den Artikel über sich weiterhin verbessern, jedoch sei es unklar, was „Relevanz“ in der Definition der Autor*innen bei Wikipedia überhaupt bedeutet. Relevanz scheint hier vielmehr davon abzuhängen, ob es um Männer geht oder um Frauen. Dies sagt aber auch aus, dass die Gleichberechtigung auf Wikipedia ungefähr bei Anno Knips stehen geblieben ist. Und das ist die, zum jetzigen Zeitpunkt, wichtigste Adresse, um sich Informationen zu beschaffen. Hier wird jedoch Wikipedia-Folklore als Argument benutzt, um eigene Interessen zu vertreten. Dies führt mehr und mehr dazu, dass wirkliche Expert*innen frustriert die Plattform verlassen und irgendwann nur noch Amateure übrig bleiben, die sich permanent selbst beweihräuchern.

3 thoughts on “#wikifüralle 2.0: Frauenfeindlichkeit auf Wikipedia

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert