Trigger-Warnung: In diesem Beitrag geht es unter dem Abschnitt „Homosexualität und Gewalt“ auch um sexualisierte Gewalt.
Worum geht es?
Rafiki erzählt die Geschichte von Kena und Ziki. Die beiden jungen Frauen leben in Kenia und stehen kurz vor dem Schulabschluss. Sie lernen sich kennen, freunden sich an und verlieben sich ineinander. Der Film zeigt die Leichtigkeit und Lebensfreude hinter einem ersten, jugendlichen Verliebtsein – aber auch die Schwere und Angst, die mit einer lesbischen Beziehung kommt, in einem Land, in dem Homosexualität noch heute verboten ist.
Eine ganze Reihe von Themen wird nebenbei angeschnitten. Die Schuld, die Kenas Mutter dafür zugeschrieben wird, dass sie und ihr Mann sich getrennt haben. Die unterschiedlichen wirtschaftlichen Ausgangssituationen und damit verbundenen Zukunftschancen der Mädchen. Die Rolle von Religion und Politik.
Anschauen sollte den Film, wer Lust auf eine Coming-of-Age-Geschichte hat, die mit schönen Bildern und viel Liebe gestaltet wurde. Eigentlich würde ich den Film gerne allen Menschen ans Herz legen, weil es zu wenige Geschichten von schwarzen, queeren Frauen in unserer weißen Medienlandschaft gibt. Hier aber eine Trigger-Warnung vor dem Kino-Besuch: Es wird homofeindliche Sprache genutzt und in einer Szene auch physische Gewalt gezeigt.
Stereotype
Der Film schafft es leider nicht, mit den stereotypen Bildern um Homosexualität herum zu brechen.
In der Handlung wird früh ein als schwul gelabelter junger Mann eingeführt. Ob er tatsächlich schwul ist oder nur so wahrgenommen wird, wird nicht aufgeklärt. Allgemein kommt die Figur nie selbst zu Wort, sondern dient mehr dazu, Objekt von homofeindlichen Beleidigungen zu sein, und so den Umgang mit Homosexualität zu personifizieren und verkörpern. Was über ihn deutlich wird: Er scheint sich Gedanken um Mode zu machen und hat eine üblicherweise eher als weiblich kategorisierte Art sich zu bewegen. Hätte er beides nicht gebraucht.
Auch die beiden Protagonistinnen kommen nicht weg von dem Klischee über Lesben schlechthin: Es gibt eine Frau, die eher „der Mann“ ist – und eine, die eben „die Frau“ ist.
Kena trägt kurze Haare und Hemden. Sie fährt gerne Skateboard und darf als einziges Mädchen mit den Jungs Fußball spielen. „Mein Körper ist allergisch gegen Kleider“, sagt sie an einer Stelle. Ziki dagegen hat pastellbunte, lange Haare und passend lackierte Fingernägel. Ihre Kleidchen sind kurz und mit Blumenmustern verziert. Sie ist immer in Begleitung ihrer zwei Freundinnen zu sehen und tanzt gerne.
Ich möchte keinen der beiden Geschlechtsausdrücke werten. Beide jungen Frauen wirken authentisch und werden als starke Persönlichkeiten porträtiert. Aber ich vermisse Geschichten von lesbischen Pärchen, in denen nicht einer von beiden Eigenschaften zugeschrieben werden, die in unserer Gesellschaft als männlich gelten. Lesbische Frauen können sich so präsentieren, wie sie das wollen und brauchen keinen medialen Druck, bestimmte Hobbys / Kleidung / Haarschnitte cooler finden zu müssen, nur weil sie lesbisch sind.
Homosexualität und Gewalt
Nach dem Kinobesuch habe ich zuerst recherchiert, wo Homosexualität wie bestraft wird. Das letzte Mal habe ich das mit 16 gemacht und irgendwie hatte ich mich selbst davon überzeugt, dass sich in den letzten fast zehn Jahren bestimmt vieles verbessert hat. Hat es nicht. (Eine Übersicht ist unten verlinkt.)
Der Film wurde in Kenia selbst zunächst verboten. Die Regisseurin musste einklagen, dass er gezeigt werden durfte – Ergebnis: Eine Woche durfte Rafiki gespielt werden. Als Grund für das Verbot wird genannt, dass der Film Propaganda für Homosexualität sei. Diese Stigmatisierung und das Unsichtbar-Machen bleiben vermutlich nicht ohne psychische Konsequenzen für homosexuelle Menschen in Kenia.
In Rafiki werden Kena und Ziki in einer Szene von einer Masse an Dorfbewohner*innen geschlagen und getreten. Als Zuschauer*in ist für einen Moment unklar: Überleben das beide? Spoiler: Ja. Als Zuschauerin, die sich mit Gewalt gegen queere Menschen auskennt, habe ich kurz erwartet, dass es zu einer Vergewaltigungsszene kommt. An vielen Orten ist es üblich, lesbischen Frauen mit sexualisierter Gewalt zu begegnen, um sie „hetero zu machen“ – so üblich sogar, dass es für diese Tat einen eigenen Begriff gibt, die „korrigierende Vergewaltigung“.
Gezeigt wird in dem Film aber auch die weniger explizite Gewalt. Der von den anderen Charakteren als schwul gelesene junge Mann scheint von der Gemeinschaft vollständig isoliert zu sein. Er wird in seinem Alltag Beleidigungen ausgesetzt. Die psychische Gewalt von Ausgrenzung wird sichtbar und bedrückend. Zu einem Zeitpunkt des Films ist er auch mit blauem Auge zu sehen – die Lebensrealität homosexueller Menschen in Kenia wird mehr als deutlich.
Privilegien und Solidarität
Der Film hat meine Perspektive ein Stück verschoben. Ich konnte die feministischen Kämpfe, die wir hier in Deutschland führen, kurz in einem anderen Licht sehen. Nicht auf eine Art, die mir sagen würde, sie wären weniger wichtig im Vergleich. Sondern in einem Licht von Dankbarkeit. Für alle Feminist*innen und Aktivist*innen, die vor mir kamen. Es wurde schon viel erreicht hier. Und sich über die eigenen Privilegien im globalen Zusammenhang bewusst zu werden bedeutet nicht, die eigenen Kämpfe niederlegen zu müssen.
Und noch ein Gefühl blieb zurück: Solidarität. Ich möchte mich mit queeren Menschen in anderen Ländern solidarisieren. Ich möchte nicht ausschließlich schwulen Jungs in mitteleuropäischen Ländern helfen, nur weil das die Kämpfe sind, zu denen mensch in Deutschland einfachen Zugang findet.
Die Frage, die Rafiki für mich in den Raum stellt – auf die ich noch keine Antwort habe – lautet:
Wie kann ich meine eigenen weißen Privilegien nutzen, um anderen queeren Menschen weltweit zu helfen?
Linkliebe
Übersicht der Länder, in denen Homosexualität noch heute illegal ist: https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetze_zur_Homosexualit%C3%A4t#Weltweite_%C3%9Cbersicht
Trailer und Interview mit Wanuri Kahiu, der Regisseurin des Films: https://www.salzgeber.de/rafiki/
Das Beitragsbild wurde uns mit freundlicher Genehmigung von Edition Salzgeber zur Verfügung gestellt.