Die Speakerin, Bloggerin und Moderatorin Nhi Le spricht online und offline viel über ihre Erfahrungen mit Rassismus und Sexismus. Wir haben uns mir ihr zusammengesetzt, um mehr über ihre Arbeit und ihren Umgang mit Diskriminierung zu hören.
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Das Interview wird in zwei Teilen veröffentlicht. Hier geht es zur ersten Hälfte [klick!].
Alica: Wir machen jetzt einen kleinen Themensprung: Du hast neulich auf Twitter geschrieben, dass du gerade aus den USA zurückgekommen bist und den Unterschied zu Leipzig sehr extrem findest. Kannst du das nochmal kurz zusammenfassen?
Nhi: Ich muss dazu immer sagen, dass auch die USA weit davon entfernt sind, frei von Diskriminierung zu sein. Allerdings geht man dort mit Diskriminierung einfach anders um. Ich habe in den sieben Monaten, die ich jetzt fürs Studium dort war und in Großstädten gewesen bin, keinen großartigen Rassismus erfahren und war auch in der glücklichen Position kein Cat-Calling zu erleben. Das war im Endeffekt sehr erleichternd. Für mich war das mal wie ein Loslassen-Können.
Hier habe ich schon das Gefühl, dass ich manchmal aufpassen muss, in welchen Kontexten ich gerade bin. Wenn ich zum Beispiel merke, dass in der Bahn schon jemand rumbrüllt, dann gehe ich da weiter weg, um mich dem gar nicht erst auszusetzen. Meiner Meinung nach wird in den USA anerkannt, dass es diese Probleme gibt – und dann gibt es Leute, die daran arbeiten wollen, aber natürlich auch immer die, die sich dagegen versperren. Aber es gibt Rassismus, es gibt Sexismus, es gibt Diskriminierung, und das weiß man in den USA. Hier in Deutschland sind wir noch gar nicht so weit. Zum Beispiel wird oft gesagt: „Es gibt keinen Sexismus; schauen Sie mal, wir haben doch sogar eine Bundeskanzlerin.“ Wir haben also noch einen ganz weiten Weg vor uns. Und es ist auch anstrengend, wenn man in dem Bereich arbeitet, gesellschaftlich die Diskussion dort erstmal hinzubringen, dass wir hier Probleme haben, an denen wir arbeiten müssen. Wenn man sich so versperrt und sagt, wir hätten hier keine Probleme, das gäbe es nur woanders, wie zum Beispiel den USA, dann spielt da eine bestimmte Arroganz mit und es gibt sehr viel zu tun.
Ich hatte in den USA das Gefühl, ein bisschen mehr Solidarität zu erfahren. Ich habe dort an der Uni keine Rassismuserfahrungen gemacht, aber es gab halt einen rassistischen Vorfall und nach diesem gab es gleich ein Statement von der Fakultät. Hier könnte man da erstmal länger drauf warten, wenn denn überhaupt was kommen würde. Man muss bei Gesprächen über Diskriminierung oftmals diese Hinführ-Arbeit machen und sagen: „Das ist wirklich so“, denn oftmals kommt nur so ein: „Das kann ich mir gar nicht vorstellen.“ Das ist für mich ein großer Unterschied. Und das wollen viele nicht wahrhaben.
Alica: Darüber hast du ja auch getwittert: Nestbeschmutzung ist gefallen, viel Relativierung ist aufgetaucht. Zum Beispiel sagen Leute ganz gerne mal: „Hier in der Großstadt ist es ja viel besser als auf dem Dorf!“ Hast du Tipps für Personen, die anfangen möchten, über Diskriminierung zu sprechen und nicht wissen, wie sie mit diesem ‚Wir haben es ja schon weit geschafft‘ gut umgehen können?
Nhi: Wenn man sagt „Hier ist es ja schon viel besser als dort und dort“, dann flüchtet man sich auch ein bisschen daraus, was man selbst noch vor Ort zu tun hat. Im größeren Kontext ist das auch dieses „Nur im Osten gibt es diese Probleme.“ Das ist erstens arrogant und zweitens stimmt es nicht. Es gibt auf jeden Fall ein allgemeines Rassismusproblem. Der Rassismus im Osten ist anders und der ist nochmal krasser, aber das bedeutet nicht, dass sich diese Probleme geografisch nur auf den Osten konzentrieren und im Westen alles super toll ist. Ich finde es wichtig zu sagen: Klar, hier ist es besser als in der Sächsischen Schweiz meinetwegen, aber was bedeutet das denn? Hier ist es besser als da, wo es richtig schlecht ist? Dann ist es hier ja trotzdem noch kritikwürdig. Ich frag mich immer, wenn jemand sowas sagt: „Okay, heißt das jetzt, hier es besser als da und wir können da weiter dran arbeiten? Oder war es das jetzt für dich?“ Man kann sich halt nicht auf diesem „Wir sind besser als da, wo es richtig schlimm ist“ ausruhen.
Manchmal geht es den Leuten nur darum, dass das schöne Stadt-Image nicht „besudelt“ wird. Dann merke ich auch, dass es diesen Leuten gar nicht um Diskriminierung an sich geht. Kurz nachdem ich auf den USA zurückgekommen bin, wurde ich am Bahnhof angegriffen: Ich wurde geschubst und rassistisch beleidigt. Und ich habe natürlich darüber geschrieben und das gepostet. Einige haben darauf reagiert mit einem: „Das ist ja krass. Aber ich bin es leid, dass der Osten so ein schlechtes Image hat.“ Diskriminierte sind es aber halt auch leid, diskriminiert zu werden. Und ich würde schon sagen, dass durch Legida (Leipziger Ableger von Pegida, Anm. d. Red.) und den gesellschaftlichen Rechtsruck Leute auch auf der Straße sich ermutigt oder bestätigt fühlen, ihren Rassismus offen zur Schau zu stellen. Und das ist nicht nur in bestimmten Stadteilen oder am Stadtrand so, sondern überall.
Alica: Vorhin hast du auch Uni-Kontexte angesprochen. Viele Menschen glauben bestimmt, in der Uni sei alles gut. Bezieht dieses „überall“, das du eben genannt hast, auch akademische Kontexte ein?
Nhi: Das ist so ein Trugschluss, zu denken, in der Uni sei alles gut, weil da Leute studieren, die sind ja alle schlau. Das impliziert ja auch, Rassismus sei ein Intellektproblem. Was es eben nicht ist. Wir müssen auch davon wegkommen, zu sagen: „Nazis sind einfach doof.“ Das ist erstens falsch und zweitens, wo führt denn so eine Argumentation hin?
An der Uni habe ich selbst auch Diskriminierung erfahren. Es gab einen Fall mit einer Dozentin in einem Seminar, über den ich auch schon oft gesprochen habe [klick!]. Und es gibt ja so viele weitere Fälle, wie in Leipzig diesen Jura-Prof [klick!], der immer wieder mit der AfD sympathisierende und rassistische Aussagen auf seinem Twitter-Profil gemacht hat. Was ja beweist, dass auch Lehrende ein Rassismusproblem haben können. Deswegen ist es einfach falsch zu behaupten, Uni sei ein davon befreiter Raum. Uni ist auch ein Teil der Gesellschaft und dort spiegelt sich genauso der Rassismus.
Alica: Wir springen gerade immer wieder zwischen Rassismus und Sexismus, das überschneidet sich ja auch oft. Bei Amnesty International hast du schonmal über den Asia-Fetisch geschrieben [klick!]. Kannst du für die Menschen, die sich darunter gar nichts vorstellen können, kurz erklären, was das ist und was so deine Erfahrungen damit sind?
Nhi: Asiatische Frauen, besonders südostasiatische Frauen, machen oftmals die Erfahrung, dass sie als etwas Exotisches gesehen werden. Da ist man vor allem Projektionsfläche. Und diese Stereotype sind nicht nur sexistisch, sondern auch rassistisch. Sie reichen von positiver Diskriminierung wie „Asiaten sind ja alle sehr schlau“ bis hin zu krass sexualisierten Dingen. Als Person, die in der Öffentlichkeit steht, habe ich da selbst schon super explizite Nachrichten bekommen. Da ist eben die Vorstellung, asiatische Frauen seien sehr unterwürfig, sexuell sehr willig und wollten nur dienen. Da spielt Popkultur keine unwichtige Rolle, aber es haben auch viele historische Faktoren dazu geführt, dass es überhaupt dieses Bild gibt von der unterwürfigen, zierlichen Asiatin. Von asiatischen Frauen gibt es bestimmte Vorstellungen: Die Drachenlady, die total wild und mutig ist, Samurai-Schwerter in der Hand, solche Bilder. Aber was eben am allermeisten bekannt ist, ist die zarte Lotusblüte, die einen Beschützer braucht. Da wird natürlich viel von Männern projiziert, die sich selbst in dieser Beschützerrolle sehen.
Für mich bedeuten diese Stereotype, dass ich sehr anzügliche und respektlose Nachrichten bekomme. Das geht von Kommentaren über mein Aussehen bis hin zu sehr expliziten Fantasien. Und das ist sehr unangenehm.
Alica: Der letzte Punkt ist nochmal ein kleiner Themensprung. Hast du das Gefühl, dass deine Diskriminierungserfahrungen dich stark beeinflussen oder sogar einschränken in deiner Arbeit? Suchst du dir zum Beispiel ein Thema für deine Masterarbeit, das direkt damit zu tun hat? Oder wärst du vielleicht viel lieber Klima-Aktivistin, aber kannst es halt nicht sein, weil Rassismus für dich ein dringenderes Problem ist?
Nhi: Ich würde nicht sagen, dass mein Themenbereich mich einschränkt. Ich suche mir eben immer das, was gerade passt oder wofür ich mich gerade am meisten interessiere. Allerdings habe ich schon das Gefühl, dass Diskriminierungserfahrungen und Hasserfahrungen online mich immer aufmerksamer werden lassen. Gerade wenn man als Frau, als nicht-weiße Frau, zu diesen Themen spricht, in der Öffentlichkeit steht und vor allem online tätig ist – dann kommen auch immer wieder Bedrohungsgruppen zusammen. Ich bin selbst schon oft bedroht worden. Und da fragt man sich halt schon: Ist es das jetzt wert, diese Arbeit zu machen, wenn ich mich damit selbst in Gefahr bringen könnte? Aber natürlich ist es genau das, was die wollen: Die Bedrohung soll dazu führen, dass man sich aus dieser Öffentlichkeit, die sich durch das Internet heut jeder mehr oder weniger schaffen kann, zurückzieht. Das möchte ich denen nicht geben. Aber ich merke schon, dass ich bei einigen Dingen vorher überlege, wie ich das formuliere, um mich nicht angreifbar zu machen. Das ist natürlich einschränkend und auch nervig. Und das ist die Realität für die meisten Frauen, die online sind und in der Öffentlichkeit stehen. Ich möchte mich von dieser Angst nicht leiten lassen. Aber je mehr man in der Öffentlichkeit steht, desto vorsichtiger muss man auch sein. Ich würde mir wünschen, dass Leute mehr sehen, was es da für eine Bedrohung gibt, gegen Journalistinnen, gegen Journalistinnen of Color, gegen alle, die sich für eine offene Zivilgesellschaft einsetzen. Die stehen unter Druck, die werden bedroht und das ist nicht zu unterschätzen.
Alica: Jetzt hast du schon einen Wunsch formuliert. Möchtest du dir zum Abschluss noch etwas von oder für unsere Leser*innen wünschen?
Nhi: Ich finde es wichtig, neugierig und offen zu bleiben. Und für die Werte, die man hat, einzustehen. Für junge Frauen: Gerade in Zeiten von Social Media, wo jede*r scheinbar so sein*ihr „best life“ lebt und man sich ständig vergleicht, ist es wichtig, dass man auf sich selbst hört. Es ist wichtig, dass man seine eigenen Erfahrungen und die eigene Geschichte auch wertschätzt. Man muss sich selbst klar machen: Das, was ich erlebe, was ich durchmache, das ist wichtig – und ich bin wertvoll, so wie ich bin. Ich möchte Leute ermutigen und ihnen sagen, dass sie mit ihren Problemen meistens nicht allein sind. Und vor allem müssen sie nicht allein da durch.
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