„Das sagen Männer doch immer, oder? Als ultimatives Kompliment. ,Die ist echt cool.‘
Die Coole ist heiß. Die Coole spielt mit. Die Coole macht Spaß. Die Coole ist nie wütend auf ihren Typen. Sie lächelt immer, in ihrer erniedrigten, liebenden Art, und öffnet den Mund für den Blowjob.
(…) Als ich Nick Dunne traf, wusste ich sofort, er will die Coole. Und für ihn, das gebe ich zu, habe ich es versucht. Ich hab mir die Muschi wund gewachst, hab Dosenbier getrunken und Adam-Sandler-Filme geguckt. Ich hab kalte Pizza gegessen und trotzdem meine Figur behalten. Ich hab ihm einen geblasen, ziemlich regelmäßig. Ich habe im Augenblick gelebt. Ich machte alles mit.“
– Gone Girl – Das perfekte Opfer (2014), Regie: David Fincher, deutsche Übersetzung: Christoph Cierpka
Der „Cool Girl“-Monolog ging kurz nach Erscheinen der Filmversion von Gone Girl viral – weil er für viele Frauen eine präzise Beschreibung ihrer eigenen Erfahrungen darstellte. Verfasst wurde er von Gillian Flynn, die sowohl das Drehbuch als auch die gleichnamige Romanvorlage schrieb.
In so mancher Hinsicht könnte man „Sexuell verfügbar“ von Caroline Rosales als den „Cool Girl“-Monolog in Romanlänge bezeichnen. Soll heißen: Wenn ihr bei dieser Szene von Gone Girl innerlich laut „Oh Gott, ja, genau so ist es!!!“ geschrien habt, dann werdet ihr wahrscheinlich beim Lesen von „Sexuell verfügbar“ auch immer wieder innehalten und denken: „Scheiße ja, endlich sagt es mal jemand.“ Mir ist es auf jeden Fall mehrfach passiert.
In thematische Kapitel unterteilt durchläuft Caroline Rosales in „Sexuell verfügbar“ – teils Autobiografie, teils feministisches Sachbuch – so ziemlich den kompletten Reigen an Dingen, die Mädchen und Frauen im Laufe ihres Lebens so mit sich machen lassen. Von Männern, von anderen Frauen, von der Gesellschaft insgesamt: sich einem Schönheitsideal unterwerfen und in Folge dessen Essstörungen entwickeln; sich zu Sex überreden lassen, den man gar nicht will; sich zwischen Kindern und Job aufreiben, um es allen Recht zu machen; lächeln, beschwichtigen, den Mund halten, wenn man am liebsten schreien will. Wer kennt es nicht.
Vor allem diejenigen, die sich schon länger mit Feminismus befassen, werden hier außerhalb von #relatable-Momenten eher wenig Neues finden. (Und sich obendrein fragen, warum man bloß ein Buch über Feminismus herausbringt und darin nicht gendert – sondern uns stattdessen Formulierungen wie „Merkels erste Kanzlerjahre“ beschert. Und es nicht einmal im Lektorat schafft, die Falschschreibung des Namens von Bloggerin Nhi Le zu korrigieren …) Aber für die ist „Sexuell verfügbar“ vermutlich auch nicht gedacht. Das niedrigschwellige Einstiegswerk eignet sich vielmehr für diejenigen, die auf ihrer feministischen Reise noch am Anfang stehen. Und bezieht sich praktischerweise auf zahlreiche „Standardwerke“ des Feminismus, sodass man im Anschluss gleich weiterlesen kann.
Dass das Buch so niedrigschwellig und allgemeingültig sein möchte, ist gleichzeitig auch sein hauptsächliches Problem. Das zweite Kapitel beginnt mit den Worten:
„Ich bin niemand Besonderes und deshalb bin ich hierfür richtig. Weil ich perfekt dafür bin, den Durchschnitt einer jungen Frau von heute abzubilden. Ich werde nicht politisch oder religiös verfolgt, kenne kein Leben im Krieg, habe keine Flucht durchleiden müssen. Ich bin ganz normal im Sinne der DIN-Norm.“
Indem Rosales sich als weiße deutsche Cis-Frau mit französischem Migrationshintergrund, aus der Mittelschicht stammend und ohne körperliche Behinderung, als „ganz normal“ bezeichnet, stellt sie gleichzeitig stillschweigend die Frage, wer demnach nicht „normal“ sei und wessen Erfahrungen als nicht so allgemeingültig wie ihre angesehen werden könnten. Wäre man böswillig, könnte man ihr Buch als eine Art Einmaleins des White Feminism bezeichnen. Diese Strömung des heutigen Feminismus wird zumeist von weißen Frauen betrieben, die keine Mehrfachdiskriminierung erfahren und deren Aktivismus sich vor allem auf Dinge konzentriert, die vermeintlich alle Frauen betreffen. Diese Art von Feminismus vernachlässigt die Intersektionalität, also die Tatsache, dass viele Menschen unterschiedlichen Diskriminierungsformen ausgesetzt sind. Ein Beispiel: Eine schwarze Frau in Deutschland erlebt Sexismus anders als eine weiße Frau, weil bei ihr zusätzlich Rassismus ins Spiel kommt. Ebenso verhält es sich mit anderen Formen der Diskriminierung wie Homo- oder Transfeindlichkeit, Klassismus oder Ableismus.
Aber wie gesagt: Man täte „Sexuell verfügbar“ unrecht, wenn man sich allein auf die Privilegien der Autorin versteifen würde. Zum einen wäre es mehr als unangebracht, ausführlich über Diskriminierungsformen zu schreiben, die sie nicht aus eigener Erfahrung kennt. Das überlässt man lieber denjenigen, die dazu wirklich etwas zu sagen haben. (Ebenfalls im Ullstein Verlag erschienen ist zum Beispiel kürzlich „Eure Heimat ist unser Albtraum“, herausgegeben von Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah.) Zum anderen zählen zu den interessantesten Stellen des Buches gerade die, in denen es nicht um das seltsame Gebaren von Menschen in Heteroliebschaften geht. Vor allem die Schilderung der gleichgeschlechtlichen Beziehung, die Rosales zur Schulzeit mit einer Klassenkameradin führte, hat mich definitiv gepackt. Dass diese Beziehung noch in den Neunzigerjahren im katholisch geprägten Umfeld der Autorin als dermaßen sozial inakzeptabel galt, dass sie im Geheimen geführt werden musste, war für mich – gerade mal sieben Jahre später geboren und relativ weltlich-liberal erzogen – nahezu unfassbar (und dabei musste ich etwa zur selben Zeit in der Grundschule homofeindliches Mobbing erleiden).
Außerdem positiv zu erwähnen ist die ausführliche Behandlung der Mutterrolle und des Mutterbildes in unserer Gesellschaft. Rosales schildert dies aus der Perspektive einer Alleinerziehenden, also einer deutlich unterprivilegierten Rolle. Mit zahlreichen Statistiken aus Nachbarländern, aber auch aus der DDR, unterfüttert sie ihre These, dass das Mutterbild sich in Deutschland seit den Fünfzigerjahren kaum gewandelt hat und hierzulande immer noch eine Aufopferung für die Familie erwartet wird, die anderswo längst der Vergangenheit angehört. Anschaulicher formuliert: In Frankreich würde die Kindertagesstätte niemals zu einem „Elternbastelnachmittag“ einladen, weil die Eltern dort selbstverständlich bis 17 Uhr arbeiten (dürfen). Und genauso wenig wird von den Müttern verlangt, bei Veranstaltungen einen selbstgebackenen Kuchen beizusteuern. Diese Passagen waren für mich als Kinderlose (oder, was ich auch ganz schön finde, „Kinderfreie“) zwar nicht #relatable; aber ich lese Bücher auch nicht, um bestätigt zu bekommen, was ich eh schon weiß, sondern um meinen Horizont zu erweitern. Insofern kann vielleicht doch so manche gestandene Feministin hier noch das ein oder andere Neue entdecken.
Disclaimer: Das Buch wurde der *innenAnsicht-Redaktion vom Ullstein Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Dies beeinflusst in keiner Weise den Inhalt dieser Rezension.
Feline mag schlechte Wortwitze, queerfeministische Medienkritik und Weißwein. Sie freut sich bereits auf ihr späteres Leben als merkwürdige alte Frau mit sehr vielen Katzen.