Als 1960 die sogenannte Antibabypille auf den Markt kam*, schien sie die Grundlage der sexuellen Befreiung der Frau1 zu bedeuten. Doch was ist seitdem passiert? Wie ist unser Verhältnis zum Thema Verhütung? Es wird Zeit kritisch zu reflektieren.
Die hormonelle Verhütung sollte das höchste Maß an Kontrolle über die Reproduktion für die Frau darstellen. Abgesehen von dem scheinbaren Gewinn für sie lag diese Art der Verhütung selbstverständlich auch im Interesse der Männer2, auf Grund der damit verbundenen möglichen Trennung von Sexualität und Reproduktivität. Die weite Verbreitung der Pille führte neben der Selbstermächtigung der Frau auch zu einem Nutzen für die männliche Sexualität. Die Verhütung spaltete sich von der Sexualität ab und ersteres wurde zur reinen Frauensache. An der Frau blieb die Verurteilung für das freie Ausleben der eigenen Sexualität haften.
Ein Blick in die Gegenwart zeigt: Die Hauptverantwortung für das Thema Verhütung obliegt nach wie vor der gebärfähigen Person. Cis-Männern wird eine gewisse Art von Komfort gewährt. Das fehlende Wissen über den Zyklus sowie natürliche Verhütung zeigt das Desinteresse am Thema. Dieses Desinteresse geht oftmals auch einher mit der fehlenden finanziellen Beteiligung an Verhütungsmitteln. Es existiert solch ein Selbstverständnis darüber, dass die gebärfähige Person sich um das Thema Verhütung kümmert, dass selbst in vielen Beziehungen, in denen Schwangerschaften auftreten können, kein Austausch diesbezüglich stattfindet. Man(n) vertraut seiner*m Partner*in bei dem Thema Verhütung blind und schiebt so jegliche Verantwortung von sich. Das Bewusstsein für Verhütung beschränkt sich somit auf Personen, die schwanger werden können.
Des Weiteren kommt das Gefühl auf, die Pille zu nehmen sei ein ungeschriebenes Gesetz für die „moderne Frau“. Gynäkolog*innen verschreiben die Pille oft so leichtfertig, als gehöre sie einfach zum Erwachsenwerden dazu. In partnerschaftlichen Verhältnissen zeigt sich auch, dass eher die gebärfähige Person die Pille nimmt, als dass Paare sich für die Verwendung von Kondomen entscheiden. Genau dieser Aspekt ist ein häufiges Streitthema in vielen romantischen Beziehungen. Mann weigert sich konsequent, was die Verwendung von Kondomen betrifft, mit den abenteuerlichsten Erklärungen für diese Entscheidung. Mal heißt es „Kondome passen mir nicht“, jemand anderes beschwert sich mit den Worten „Aber da spüre ich ja nichts“ oder es wird gemault, die sexuelle Lust gehe dabei flöten. Das Thema Gesundheit wird ignoriert und die patriarchalen Strukturen innerhalb von rein sexuellen und romantischen Beziehungen werden deutlich sichtbar.
Anmaßend ist auch, dass häufige Nebenwirkung hormoneller Verhütung wie Libidoverlust und depressive Verstimmungen als „typisch weibliche“ Charakteristika gelten. Dies bestätigt das patriarchale Frauenbild, welches sexuelle Passivität, Lustlosigkeit und Stimmungsschwankungen als Teil der Weiblichkeit darstellt. Auf Grund dieser Annahme werden Nebenwirkung oftmals gar nicht als solche erkannt, beziehungsweise großzügig in Kauf genommen. Versuche, die Pille für den Mann auf den Markt zu bringen, scheitern hingegen an genau solchen Nebenwirkungen.
Ein anderer wichtiger Punkt zum Thema Verhütung ist das Menschenrecht auf selbstbestimmte Familienplanung, dessen Durchsetzung jedoch abhängig vom Zugang zu Verhütungsmethoden im jeweiligen Land ist. Personen, die schwanger werden können, sind bei fehlendem oder mangelhaftem Zugang unmittelbar von gesundheitlichen, finanziellen und sozialen Folgen betroffen. Wenn das Geld nicht ausreicht, muss oftmals auf individuell passende Verhütungsmethoden verzichtet werden und es wird auf günstigere, häufig unsicherere oder gesundheitlich weniger verträglichere Verhütungsmittel ausgewichen. Eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung besagt ebenfalls, dass ein Zusammenhang zwischen geringerem Einkommen und dem Risiko, ungewollt schwanger zu werden, besteht. Wie Dr. Alexandra Ommert, Projektleitung biko, pro familia Bundesverband e.V. berichtet, beeinträchtigt die ständige Sorge ,ungewollt schwanger zu werden, gebärfähige Menschen und Paare stark in ihrem Recht auf selbstbestimmte Sexualität und Familienplanung.‘3
Das Thema Verhütung ist keine Privatsache sondern politisch. Selbstbestimmte Familienplanung darf keine Frage des Geldes sein, da es sich um ein Menschenrecht handelt. Ein allgemeines Umdenken in Bezug auf Verhütung ist nötig. Es handelt sich nicht um eine Angelegenheit, welche nur gebärfähige Personen betrifft, und es wird noch viel Aufklärungsarbeit im Bereich Verhütung benötigt. Es besteht Handlungsbedarf durch die Politik, aber auch innerhalb unserer Gesellschaft. Ein Anfang wäre die Reformierung des Sexualkundeunterrichts, bessere Aufklärung im Bezug auf Verhütungsmethoden und finanzielle Unterstützung für eine selbstbestimmte Familienplanung.
*) Die sogenannte Antibaby-Pille kam in den 60er-Jahren auf den Markt, geht aber zurück auf deutlich ältere Entdeckungen indigener Frauen. Dass dies relativ unbekannt ist, ist ein weiterer politischer Aspekt dieser Verhütungsform. [Anmerkung d. Redaktion, dank Hinweis von Wir muessten mal reden]
1Die Autorin spricht hier nur von Frauen und meint damit cis Frauen, weil in diesem historischen Kontext trans* Menschen, nichtbinäre Personen und inter* Personen für gewöhnlich nicht mitgedacht wurden.
2Siehe Fußnote 1
3https://www.profamilia.de/fileadmin/profamilia/pressemitteilungen/pm_weltverhuetungstag_2017-9-19.pdf
Sehr guter Artikel. Es wird Zeit das Thema aus der sogennanten „Tabu-Zone“ zu kicken und auf den Tisch zu legen.
Theresa, du sprichst mir aus der Seele.