Wikipedia dient uns allen als Nachschlagewerk. Doch wer schreibt die Artikel und wer bestimmt, was dort drin steht? Eine Liste über deutschsprachige SciFi-Autorinnen hat jetzt für Diskussion gesorgt und damit auf ein Problem aufmerksam gemacht. Bei Wikipedia sind 85-94 Prozent der Autor*innen männlich. Und die haben gravierenden Einfluss auf die Inhalte der Plattform.
Wikipedia hat sich seit der Gründung fest als Nachschlagewerk in der Gesellschaft etabliert. Auf ihren Seiten veröffentlichen Personen Artikel über Geschehnisse, Natur, Persönlichkeiten und … Bauchnabelfussel – immerhin war letztgenanntes Thema vor einigen Jahren sogar RTL2 eine Aufklärungsdokumentation Wert, und wenn es RTL2 zeigt, dann muss es ja auch absolut relevant für ein Nachschlagewerk wie Wikipedia sein. Verfasst werden solche Artikel von Menschen, die entweder über ein Thema sehr viel wissen, sich gern in neue Themengebiete einarbeiten – oder Langeweile haben. Was jedoch nicht allen bewusst ist: Wikipedia-Autor*innen sind hauptsächlich männlich. Laut eigener Aussage des Nachschlagewerks sind lediglich geschätzt 6-15% der Autor*innen dort weiblich. Und das kann zu einem Problem werden.
Es ist tatsächlich so, dass Artikel von der Wikipedia Community gelöscht werden können, wenn diese für irrelevant oder für nicht gut recherchiert gehalten werden. Theresa Hannig hat für Wikipedia einen Artikel über deutschsprachige Science Fiction-Autorinnen geschrieben. Immerhin gibt es bereits eine Liste mit männlichen Autoren in diesem Genre, warum nicht auch eine Liste mit Frauen? Dieser Beitrag wurde kurz nach der Veröffentlichung zur Löschung vorgeschlagen. Mit der Begründung: irrelevant.
Warum?
Die Begründung des männlichen Mitglieds lautete folgendermaßen: „Überflüssige Liste, die Redundanzen schafft, vom Inhalt her unklar und vom Konzept her dubios ist.“
Wenn eine Liste mit männlichen deutschsprachigen SciFi-Autoren relevant ist, warum ist dann eine Liste mit weiblichen SciFi-Autorinnen überflüssig, redundant, inhaltlich unklar und dubios? Weil’s Frauen sind!
Pilotstudie: Frauen unterrepräsentiert
Laut der aktuellen Studie von #Frauenzählen sind Autorinnen in den Medien stark unterrepräsentiert. Nicht, weil es zu wenige von ihnen gäbe, sondern weil sie schlichtweg nicht sichtbar sind. So werden beispielsweise mehr Bücher von Männern (64%) besprochen als von Frauen (33%). Und zwar durchgängig in allen Medien. Ob Print, Radio, Social Media oder TV, hauptsächlich werden Autoren ins Rampenlicht gestellt. Dies fällt besonders in dem Genre Fantasy und Science Fiction auf. Hier werden zu 79 Prozent Bücher von Männern besprochen und präsentiert, lediglich 21 Prozent von Frauen. Und es überrascht auch nicht, dass Männer Bücher von Männern bevorzugen.
Zum Beispiel im Genre Krimi besprechen Kritiker zu 82 Prozent Bücher von Männern und nur zu 18 Prozent Bücher von Frauen. Dies zieht sich durch alle Genres, außer bei der Kinderliteratur – da haben Frauen wohl den Mutterinstinkt-Bonus. Auch der Umfang der Kritiken fällt je nach Geschlecht unterschiedlich aus. Bücher von Männern werden grundsätzlich umfangreicher und länger besprochen, als die von Frauen. Im Fantasy- und Science Fiction-Genre werden Männern 80 Prozent, Frauen lediglich traurige 20 Prozent Umfang (in Zeichen) eingeräumt.
Die Pilotstudie, die zu diesen Ergebnissen kommt, wurde an der Universität Rostock durchgeführt, um die Sichtbarkeit von Frauen in den Medien und im Literaturbetrieb zu messen. Die Ergebnisse können auf drei wesentliche Punkte heruntergebrochen werden: Zwei Drittel aller Besprechungen werden Männern gewürdigt, Männer schreiben hauptsächlich über Männer und ihnen wird ein deutlich größerer Umfang für Kritiken zur Verfügung gestellt. Männer dominieren demnach den Literaturbetrieb, indem Frauen schlichtweg ausgeblendet werden. Das ist ein Problem. Gerade die Medien prägen die Gesellschaft, mit ihren Bildern, Werten und Normen. Sie beeinflussen die Vorstellungen über Männer, Frauen, Sexualität und Gender. Wenn die Medien nun hauptsächlich aus Männern bestehen, die Frauen ausblenden, schadet das der Bildung der Menschen, in vielen Bereichen.
Schreibende Frauen unwichtiger als Bauchnabelfussel
Wikipedia gehört zur Gruppe der Medien. Nicht nur, dass dort aus Prinzip das generische Maskulinum verwendet wird, sondern es wird zudem erläutert, dass es pure Absicht ist, dass es keine weiblichen Listen gibt. Die würden ja irgendwo mittendrin bei den Männern aufgelistet sein – Frauen sind also mal wieder „mitgemeint“. Doch das sehen Wikipedia-Autoren natürlich ganz anders und werfen der Liste vor, Werbung für Autorinnen und Feminismus zu machen. Immerhin, so Kommentare in der Diskussion, sei es doch egal, welches Geschlecht ein*e Verfasser*in eines Buches hat, es käme doch auf die Geschichte an.
Ich möchte an dieser Stelle dezent auf die oben angeführte Studie verweisen, die beweist, dass es offensichtlich sehr wohl auf das Geschlecht eines*einer Schriftsteller*in ankommt, sonst würden sich die Ergebnisse wohl weitaus ausgeglichener darstellen. Es folgte eine hitzige Diskussion. Durch Unterstützung von vielen konnte letztendlich eine demokratische Mehrheit erreicht werden und der Antrag der Löschung wurde vom Einreichenden zurückgezogen – nicht ohne dass noch mal nachgetreten und auf übelste Weise sowohl die Verfasserin der Liste beleidigt als auch die Existenz dieser Liste geschmäht und herabgesetzt wurde.
Doch nur ein paar Tage später tauchte ein erneuter Löschantrag auf. Wieder die gleichen Anmerkungen von Männern, die Frauen offenbar nicht in „ihrer“ Wikipedia haben wollen. Obwohl in der Diskussion die Liste mit 62:20 befürwortet wurde, wurde sie gelöscht. Der Kommentar dazu (von einem Mann): „Löschdiskussionen sind keine Abstimmungen. Es werden Argumente gesammelt, die am Ende ein Admin auswertet werden.“ Anders ausgedrückt: Ihr dürft zwar ein bisschen diskutieren, aber das Sagen haben hier doch noch die Männer. Und dass diese Entscheidung nach reiner Willkür getroffen wurde, ist offensichtlich. Hier fühlt sich wohl jemand ganz derbe auf den Schlips getreten.
Zusätzlich wurde ein Antrag auf Löschung der Infoseite über die Verfasserin gestellt. Ein Wink mit einem kompletten Gartenzaun: Frau Hannig, Mann will Sie auf Wikipedia nicht haben. Es wird deutlich, dass Frauen eindeutig unter den Bauchnabelfusseln stehen, die ohne Diskussion einen Platz bei Wikipedia erhalten haben. Letztendlich wurde der Artikel zu deutschsprachigen SciFi-Autorinnen am 25. März 2019 wieder freigeschaltet. Mal sehen wie lange. Es gibt mittlerweile auch eine Petition, die für einen gerechteren Umgang auf der Wissensplattform eintritt.
Männerclub Wikipedia: Frauen werden systematisch rausgeekelt
In einem Artikel des Online-Magazins Vice erzählen Wikipedia-Autorinnen, wie sie von den Autoren dieser Plattform diskriminiert werden. „Wenn Männer bestimmen, was sinnvoll ist, was Relevanz hat, dann tauchen Frauenthemen eben nicht auf“, heißt es dort in einem Zitat einer Autorin. Frauen werden auf Wikipedia systematisch abgelehnt, ihre Artikel werden auffällig oft zur Lösung freigegeben, markiert, für nicht gut genug befunden – selbst wenn die Autorin Expertin auf diesem Gebiet ist. Artikel über Frauen und Frauenbewegungen sind nicht wichtig genug, egal in welchem Bereich. Beiträge über Feminismus werden durch „Verbesserungen“ unterwandert und mit lächerlichen sowie sexistischen Statements versehen. Es wird beleidigt, abgelehnt und abgewertet. Männer schaffen sich auf Wikipedia eine eigene kleine Männerwelt.
Das ist besonders geschmackvoll, wenn sich eine daran erinnert, dass das Nachschlagewerk erst vor kurzem mit einer 24 Stunden dauernden Abschaltung gegen Artikel 13 protestiert hat: freies Internet, freies Wissen – aber bitte nur für Männer?

Anja ist Jahrgang 1982 und wuchs im schönen Thüringen auf. Sie arbeitete in internationalen Unternehmen und studierte später Wirtschaftspsychologie. Ihr Geld verdient sie als freie Autorin im Bereich Wissenschaft und veröffentlicht unter eigenem Namen Romane in der Phantastik, hauptsächlich Urban Fantasy und Steampunk. Ihr Debüt „A Fairy Tale“ war 2018 auf der Shortlist für den Deutschen Phantastik Preis.
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