Für unsere Themenreihe über alternative Beziehungsmodelle habe ich ganz verschiedenen Menschen in ganz verschiedenen Konstellationen Fragen zu ihren Erfahrungen in Beziehungsmodellen gestellt. Das hier soll ein Versuch sein, verschiedene Stimmen und Perspektiven zu zeigen. Kleine Geschichten von Menschen, die erzählen, wie die Liebe für sie funktioniert. In diesem Teil erzählt Alice[1] ihren Erfahrungen.
Alice[1] ist seit zwei Jahren mit einem Mann zusammen, der von der Mutter seiner Kinder getrennt ist, mit ihr aber noch zusammen lebt – in einer Art Eltern-WG. Die Beziehung der beiden ist offiziell, sie kennt die Kinder aber noch nicht und betritt sein Haus auch nicht, sie treffen sich bei ihr oder eben außerhalb der Wohnung. Diese Beziehung ist nicht das erste Konzept in Alices Leben, welches vom klassisch monogamen „zu zweit“ abweicht.
„Die ersten Erfahrungen mit alternativen Modellen als der klassischen Zweierbziehung habe ich im Alter von 17 Jahren gemacht. Damals war ich die Geliebte einer Frau, die in einer Beziehung mit einem Mann lebte. In dieser Konstellation war ich allerdings auf sie bezogen monogam, als ihr Lebensgefährte davon erfuhr, war das ein riesiges Drama. Um ehrlich zu sein dachte ich auch, die beiden würden sich voneinander trennen. Dazu kam es leider nicht, vielmehr kam der Vorschlag, einer offiziellen Dreierkonstellation, in der es, und das war damals seine Idee, auch zum Sex zu dritt kommen sollte. Das wiederum habe ich damals kategorisch abgelehnt und damit endete mit viel Liebeskummer diese Affäre.“
Danach lebte sie in monogamen Beziehungen, bis sie ihren aktuellen Partner kennenlernte. Dass dieser mit seiner Exfrau zusammenwohnt, kam ihr eher gelegen als dass es sie störte, denn sie sei ohnehin kein Fan vom Zusammenleben. Trotzdem gibt es in diesem Lebensentwurf natürlich Schwierigkeiten.
„Wie sehr es eine Beziehung belasten kann, wenn der Partner oder die Partnerin sozusagen „zwei Leben“ lebt, ist mir erst nach einer Weile klargeworden. Denn es gibt immer die Zeit in der er „woanders“ und „nicht verfügbar“ ist. Das war erst mal etwas, woran ich mich gewöhnen musste. Bisher war ich es gewohnt, meinen Partner zu jeder Tages- und Nachtzeit kontaktieren zu können, das gehört ja zu einer Beziehung meist dazu. Das war nun anders. Auch spontane Besuche waren tabu. Denn obwohl seine Frau von mir wusste, war es mir natürlich schon wegen der Kinder nicht möglich, einfach mal vorbeizukommen. Das ist bis heute so. Und obwohl ich mit seiner Frau wenig zu tun habe, ist sie ein Faktor in unserem Leben, und sie wird es bleiben, denn er und sie sind durch die Kinder ein Leben lang verbunden. Und solange meine Beziehung mit ihm andauert, solange werde ich ihn teilen müssen. Und er führt solange zwei Leben, das eine als Vater und WG-Partner seiner Frau und das andere als mein Lebensgefährte.“
Befürchtungen gehen damit viele einher, Ängste um die Beziehung, mangelnde Urlaube und Tage am Stück gemeinsam oder dass die Kinder sie nicht mögen könnten, wenn sie sie eines Tages mal kennen lernt. Manchmal fragt sie sich, warum sie kein „normales“ Paar sein können.
„Seinen Geburtstag und unser erstes „gemeinsames“ Weihnachten und Silvester nicht miteinander verbringen zu können war schmerzhaft, weil er das natürlich mit den Kindern verbracht hat, gemeinsam mit seiner Frau bei seinen Eltern. Das war ein merkwürdiges Gefühl.“
Manchmal stellt sie sich vor, wie es wäre, anstelle seiner Frau mit ihm und den Kindern zusammen zu leben. Ob sie das wirklich wollen würde, weiß sie allerdings nicht. Wie in allen zwischenmenschlichen Beziehungen braucht es an mancher Stelle klare Absprachen. Alice und ihr Partner haben genau zwei:
„Im Schlafzimmer keine Gespräche über Stress mit seiner Frau und die Kinder haben oberste Priorität. Der Rest sind flexible Absprachen mit viel Rücksicht. Natürlich erzählt er mir von den Kindern, Positives wie Negatives, und ich reagiere auch darauf, das fällt mir an einigen Tagen leichter als an anderen. Selbiges gilt für Auseinandersetzungen, die seine Frau angehen. Denn auch wenn die beiden das Bett nicht mehr miteinander teilen, haben sie eine sehr starke, wenn auch komplizierte, Bindung zueinander.“
Der entscheidende Punkt auch in dieser Beziehung: Kommunikation.
„Ich teile ihm klar mit, wann ich das Gefühl habe, dass es mehr um die Befindlichkeiten seiner Frau geht als um die Kinder. Und wann ich für mich beanspruche, die erste Geige zu spielen. Dass ich mich nach den Kindern einordne, ist selbstverständlich, dass ich aber alle Nase lang auch Rücksicht auf die Bedürfnisse seiner Frau nehme, gehört der Vergangenheit an.“
Trotz aller Schwierigkeiten weiß sie immer, was sie an ihm hat.
„Viele Partner, die ich vorher hatte, waren weniger rücksichtsvoll und empathisch und ich glaube, dass das in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Rolle als Vater steht. Deshalb glaube ich auch, dass es wichtig ist, dass er eben noch bei seinen Kindern lebt und diese nicht verlassen hat, also ausgezogen ist, wie es „üblicherweise“ ja passiert. Auch wenn das gleichermaßen bedeutet das er noch mit seiner Frau die Wohnung teilt.“
Den ersten Teil der Reihe findet ihr hier: Alternative Beziehungsmodelle – Teil 1
Im zweiten Teil der Reihe berichten Paulina, Anna-Lena und Clara von ihren Erfahrungen mit offenen Beziehungen: Alternative Beziehungsmodelle – Teil 2
Im dritten Teil berichtet Yasmine von ihrem polyamoren Leben: Alternative Beziehungsmodelle – Teil 3
Im vierten Teil berichtet Jennifer von ihrer Nicht-Beziehung: Alternative Beziehungsmodelle – Teil 4
Das Titelbild dieser Artikelreihe ist aus dem Projekt „Not Enough“ der Fotografin Ramona Schacht.
1 Name von der Redaktion zum Schutz der Portraitierten geändert
Paula Charlotte ist M.Sc. Psychologin in Leipzig. Sie schreibt als Autorin und Redakteurin über intersektionalen Feminismus mit Fokus auf Körperakzeptanz, elektronische Musik und psychische Erkrankungen/mentale Gesundheit.