In feministischen Debatten werden immer wieder englische Fachbegriffe verwendet. Für Neueinsteiger*innen kann das ganz schön verwirrend sein. In der Reihe „Was ist eigentlich…?“ wollen wir deshalb einige dieser Begriffe erklären – heute „white feminism“.
Inhaltswarnung: Rassismus
Ganz knapp gesagt
„White feminism“ bezeichnet einen Feminismus, der weiße cis Frauen aus der Mittelschicht in den Mittelpunkt stellt. Diese Frauen nutzen Feminismus in erster Linie, um sich selbst Vorteile zu verschaffen – sei es, sich in schicken Shirts mit feministischen Prints besonders aktivistisch zu fühlen oder um in Chefetagen vorzudringen. Es ist ein Feminismus, der sich nicht um Fragen der (zugeschriebenen) Herkunft und der Klasse kümmert und die Mehrfachunterdrückungen von Minderheiten ignoriert. Wie sich das konkret äußern kann, erkläre ich noch.
Aber lasst uns ganz am Anfang ansetzen und „white feminism“ Stück für Stück entpacken.
Wer ist überhaupt „white“?
Grundsätzlich ist „weiß“ ist genau wie „schwarz“ keine biologische Kategorie. Menschenrassen im biologischen Sinne existieren überhaupt nicht – alle heute lebenden Menschen gehören den homo sapiens an, ganz unabhängig von ihrer Hautfarbe. Im Englischen wird „race“ dementsprechend als soziale und politische Klassifizierung verstanden. Da im Deutschen „Rasse“ aber eben biologisch gemeint ist, wird im deutschsprachigen Raum eher von „Ethnizität“ oder von „zugeschriebener Herkunft“ gesprochen. Viele Texte verwenden „race“ auch unübersetzt.
Bei „schwarz“ und „weiß“ geht es also nicht um die tatsächlichen Hautfarben, es ist vielmehr eine Gruppierung, die sich auf einen Erlebenshintergrund bezieht: ausschlaggebend ist, ob Menschen Rassismus erfahren oder nicht. Deswegen gelten nicht nur Menschen mit dunklerer Haut als nicht-weiß, sondern auch Slaw*innen und Jüd*innen.
Zu den vielen Privilegien, die das Weiß-Sein mit sich bringt, gehört beispielsweise, dass weißen Menschen nicht abgesprochen wird, deutsch zu sein.
Zu diesen Privilegien gehört auch, dass weißen Menschen Rassismus oft gar nicht auffällt. Deswegen reproduzieren sie häufig Rassismen – auch in aktivistischen Kontexten. Entweder bewusst und absichtlich (das ist „expliziter“ Rassismus) oder weil sie gar nicht auf die Idee kommen, dass ein bestimmtes Verhalten ein Problem sein könnte („impliziter“ Rassismus – mehr Infos zu diesem Thema findet ihr in diesem Artikel von Zeit Campus). Das Ergebnis ist dann „white feminism“.
Seit wann gibt es „white feminism“?
Ehrlich gesagt: Leider schon seit es Feminismus gibt.
Anfang des 20. Jahrhunderts begannen Aktionen, die später als die „erste Welle“ des Feminismus zusammengefasst wurden. Besonders bekannt sind die Suffragetten (von frz. suffrage „Wahlrecht“), eine Bewegung von hauptsächlich weißen Frauen aus der gebildeten Mittelschicht. Diese Frauen kümmerten sich auch in erster Linie um ihre eigenen Bedürfnisse, etwa die Durchsetzung des Frauenwahlrechts. Wohlgemerkt: Das Wahlrecht für weiße Frauen.
Deswegen regte sich die Britin Millicent Fawcett 1893 auch fürchterlich auf. Neuseeland hatte gerade als erstes Land der Welt entschieden, Frauen wählen zu lassen – Frauen jeder Ethnizität. Anstatt sich darüber zu freuen, hielt Millicent Fawcett es für eine Zumutung, dass Maori-Frauen in einer Kolonie wählen durften, während sie als weiße Frau in England noch kein Kreuzchen machen durfte.
Während der zweiten Welle, die ungefähr in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts verortet wird, setzen sich Frauen verstärkt für eine gesellschaftliche Teilhabe ein: Themen waren etwa Lohn für Hausarbeit, ungehinderter Zugang zum Arbeitsmarkt, die Verwendung der Pille oder das Recht auf Schwangerschaftsabbruch.
Selbstverständlich sind das wichtige Themen. Innerhalb unserer Gesellschaft sorgt ein eigenes Einkommen auf eigenem Konto für eine gewisse Unabhängigkeit. Aber dadurch, dass Schüler*innen mit Migrationserfahrung zu einem viel geringeren Anteil aufs Gymnasium gehen, bleibt ihnen der Zugang zu vielen besser bezahlten Berufen bis heute häufiger versperrt.
Natürlich ist auch der Zugang zu Verhütung und legalem und sicherem Schwangerschaftsabbruch wichtige Bestandteile der sexuellen Selbstbestimmung. Aber eben nicht sie allein: Beispielsweise waren trans Menschen noch bis 2011 gezwungen, sich sterilisieren zu lassen, um die sogenannte Personenstandsänderung (sprich: einen neuen Ausweis mit korrektem Geschlechtseintrag und dem gewählten Vornamen) zu bekommen.
Erst in der dritten Welle wurde überhaupt die Idee der weißen Vorherrschaft innerhalb des Feminismus in Frage gestellt – und damit der Blick auf Minderheiten gelenkt. Ende der 80er Jahre sprach die amerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw erstmals von „Intersektionalität“, also der Verschränkung verschiedener Diskriminierungsformen aufgrund von Geschlecht, Ethnizität und Klasse.
Wenn ich mir auf Instagram die Selbstbeschreibungen in Profilen so anschaue, ist dort der „intersektionale Feminismus“ extrem verbreitet. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass es keinen „white feminism“ mehr gibt.
Wie äußert sich „white feminism“ heute?
Pussy Hats
Erinnert ihr euch noch an die Pussy Hats auf den US-amerikanischen Women’s Marches? Das waren pinke Mützen, deren Ecken seitlich wie Katzenöhrchen vom Kopf abstanden. Schon bald nachdem sie auftauchten, wurden sie kritisiert: Nicht alle Frauen haben eine Vagina. Nicht jede Vagina auf dieser Welt ist pink. Den Pussy Hats wurde vorgeworfen, dass sie Frauen mit anderen Genitalien und anderer Hautfarbe ausschließen.
Die Urheber*innen der Pussy Hats hatten eine andere Erklärung für ihre Mützenwahl: Sie bezogen sich damit auf den Ausspruch Donald Trumps „Grab ‚em by the pussy“ („Grabsch nach ihrer Muschi“) und darauf, dass die Farbe pink wie keine andere mit Weiblichkeit verbunden ist.
Aber: Auch wenn die Urheberinnen vielleicht nicht-weiße Frauen und diejenigen ohne Vagina gar nicht ausschließen wollten, wurden die Pussy Hats doch so gelesen. Wenn es um ausschließendes Verhalten geht, gilt: Auch wenn es gut gemeint war, kann es dennoch rassistische und cis-normative Verhaltensweisen wiederholen (ihr erinnert euch: impliziter Rassismus).
Kopftuch
Viele westliche Feminist*innen kritisieren Hidschab, Burka und Burkini. Üblicherweise argumentieren sie, es handele sich dabei um reine Unterdrückungsinstrumente einer patriarchalen Religion. Gegen diese einseitige Darstellung wehren sich viele Muslimas. In ihrem Buch „Muslim Girls – Wer sie sind, wie sie leben“ schreibt Sineb el Masrar, dass sie nicht „zwangsentkleidet“ werden möchte, auch nicht von Menschen, die um ihre Selbstbestimmung besorgt sind. Eigentlich doch eine nachvollziehbare Forderung, oder? Weiße Frauen wollen ja auch nicht, dass ihnen vorgeschrieben wird, wie sie sich kleiden sollen.
Geschlechtsspezifischer Lohnunterschied
In Deutschland erhielten Frauen 2015 durchschnittlich 21 Prozent weniger Lohn (Quelle: Statistisches Bundesamt). Ganz unabhängig davon, was man da wie rausrechnen kann und so weiter – ist euch schon mal aufgefallen, dass dabei meist pauschal von allen Frauen gesprochen wird? Eventuell wird noch zwischen alten und neuen Bundesländern unterschieden, aber das war es dann auch schon.
Für die USA finde ich schnell Quellen, die neben den geschlechtsspezifischen Unterschieden auch die Unterschiede nach ethnischer Herkunft zeigen. Dass das wichtig ist, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Während weiße Frauen in den USA 23 Prozent weniger verdienten als weiße Männer, waren es bei Frauen mit lateinamerikanischer Herkunft ganze 44 Prozent (Quelle: Huffington Post).
Daraus ergeben sich natürlich ganz andere Probleme und Herausforderungen, unter anderem auch eine viel höhere Armutsgefährdung. Deswegen lohnt es sich, genauer hinzuschauen statt so zu tun, als wären Frauen einfach eine homogene Masse.
Tone Policing
In Diskussionen rund um „White Feminism“ geschieht es oft, dass weiße Feminist*innen Äußerungen nicht-weißer Personen kritisieren. Nicht etwa für den Inhalt, sondern für den Ton. Dieser sei viel zu aggressiv und würde damit doch wohlmeinende Weiße vor den Kopf stoßen. Dieses Verhalten nennt man auch „Tone Policing“.
Das Problem: Konzentriert man sich auf die Emotionen, lenkt man vom Inhalt und dem eigentlichen Anliegen ab. Das Problem gilt nicht mehr als diskussionswürdig. Damit verschwindet das problematische Verhalten der weißen Feminist*innen aus dem Blickfeld und die kritisierende Person wird zur Hauptschuldigen.
Dabei ist es doch nachvollziehbar, dass Menschen, die immer und immer wieder von Diskriminierung betroffen sind, irgendwann nicht mehr freundlich lächeln und die Benachteiligung mit sanfter Stimme erklären, sondern stattdessen schreiend auf den Tisch hauen.
Wer sich das nicht vorstellen kann, erinnere sich einfach an eine x-beliebige Diskussion über Feminismus, in der man „hysterisch“ genannt wurde, weil man Sexismus nicht ruhig und freundlich erklärt hat.
Ich bin weiß und Feministin – wie vermeide ich „white feminism“?
Wir sind in eine Gesellschaft hineingeboren, in der weiße cis Menschen aus der Mittelklasse Privilegien genießen. Diese Privilegien müssen wir reflektieren: Nicht (nur) unsere eigenen Leistungen haben uns Erfolge beschert, sondern viel zu oft rassistische und klassistische1 Strukturen.
Beim Reflektieren hilft es, Betroffenen zuzuhören. Sie wissen schließlich am besten, wo und wie sie diskriminiert werden. Das geht sowohl im eigenen Freund*innenkreis als auch, indem wir Aktivist*innen in sozialen Netzwerken folgen oder Bücher von Autor*innen lesen, die anderen Diskriminierungsformen ausgesetzt sind. Eine Liste mit Vorschlägen findet ihr unter dem Artikel.2
Wir haben also die Augen weit offen und Ohren gespitzt? Sehr gut.
Hier kommt aber schon die erste Hürde: Es mag sein, dass uns die Rassismus-Erfahrungen im ersten Moment unglaubwürdig erscheinen. Bei der Hashtagaktion #metwo ist das sehr oft passiert, als Menschen mit Migrationserfahrungen über rassistische Erlebnisse berichtet haben. Aber das heißt nicht, dass nicht-weiße Menschen sich diese Erfahrungen ausdenken und uns anlügen, sondern dass Weiße schlicht nicht betroffen sind und ihnen diese Erfahrungen daher verborgen bleiben.
Dass wir aufmerksam sind und Erfahrungsberichten glauben, reicht aber nicht. Zusätzlich kann es auch nicht sein, dass Menschen jedem*jeder Einzelnen von uns immer und immer wieder ihre Diskriminierung erklären müssen. Unabhängig davon, ob die Aktivist*innen darüber bereits Posts verfasst haben. Unabhängig auch davon, ob es sich um intimste, schmerzhafte Erlebnisse handelt.
Zuhören heißt auch, Menschen zu glauben, ohne dass sie einen kompletten Seelenstriptease liefern müssen – und selbst weiterführende Infos zu suchen. Die Informationen sind da draußen! Suchmaschinen helfen.
Was tun bei „white feminism?“
Auch wenn wir zuhören und selbst recherchieren, sind wir leider trotzdem nicht aus dem Schneider. Es wird früher oder später vermutlich passieren, dass wir – vielleicht ganz aus Versehen – jemanden diskriminieren, etwas Rassistisches sagen oder tun, etc. Dann müssen wir um Entschuldigung bitten. Und dabei lautet diese Formulierung ganz bewusst nicht „uns entschuldigen“. Von Schuld freisprechen kann nur die Person, die wir verletzt haben, nicht wir selbst.
Wie kann eine solche Bitte um Entschuldigung funktionieren?
- Nicht selbst in den Mittelpunkt stellen: Dass wir unseren Aktivismus in unserer knappen Freizeit betreiben, dass uns die Kritik so in unseren Grundfesten erschüttert, dass wir schlaflose Nächte haben – das mag alles sein. Aber es gehört nicht in unsere Entschuldigung.
- Nicht rechtfertigen: Grundsätzlich ist es egal, warum wir etwas getan oder gesagt haben. Wenn wir Menschen verletzen, wiegt das schwerer als unsere Absichten.
- Nicht zum Gegenschlag ausholen: Wenn wir kritisiert werden, kann das ganz schön wehtun. Besonders, wenn harte Worte fallen. Trotzdem ist es falsch, unsere Kritiker*innen anzugreifen und damit vom eigentlichen Thema abzulenken. Wie bereits erwähnt: „tone policing“ ist Teil des Problems.
- Nicht schönreden, was wir getan haben: Wir sollten die Dinge beim Namen nennen. Wenn wir beispielsweise rassistische Stereotype wiederholt haben, sollten wir das auch so sagen. Unsere Handlung als „Fehler“ oder gar „Tritt ins Fettnäpfchen“ zu verschleiern, macht die Handlung kleiner – und zeigt nicht gerade, dass wir die Tragweite verstanden haben.
Nur wenn Feminismus offen ist für Menschen aller Hauptfarben und aller sozialen Schichten, wenn er Minderheiten ein- statt ausschließt, kann er wirklich dazu beitragen, dass Menschen ein besseres Leben führen. Sonst ist er einfach nur Ausdruck einer herrschenden Mehrheitsgruppe, die für ihr eigenes Fortkommen andere unterdrückt. Und davon gibt es wirklich schon mehr als genug.
Anmerkungen:
1 klassistisch meint eine Diskriminierung aufgrund der sozialen Position. Dazu gehört beispielsweise, dass der Bildungserfolg in Deutschland in hohem Maße davon abhängt, welche formale Bildung die Eltern aufweisen.
2 Tipps zum Weiterlesen:
Bei Instagram:
Esra Ayari @esrann
Fabienne Sand @ffabae
Rachel Elisabeth Cargle @rachel.cargle (englisch)
Ronya Othmann @officialronny1
Bücher:
Noa Sow: „Deutschland Schwarz Weiß“
Sineb el Masrar: „Muslim Girls – Wer sie sind, wie sie leben“
Diese Liste versteht sich als keinesfalls vollständig.

Wenn Sabrina nicht den Instagram-Account der *innenAnsicht pflegt, hört sie am liebsten politische Podcasts über Harry Potter, während sie Tee aus eimergroßen Tassen trinkt.
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