Der Zwang zur Zweisamkeit

Der Zwang zur Zweisamkeit

Ich habe es gut. Ich wohne in einer Großstadt. Hier mit Ende Zwanzig oder Anfang Dreißig Single zu sein, gilt nicht als ungewöhnlich. Man geht auch nicht zwingend davon aus, dass Singlesein automatisch heißt, auf der Suche nach einer Beziehung zu sein. Viele Leute tindern ja nur, um ein*e Partner*in für eine Nacht zu finden. Oder jemanden, mit dem man in unregelmäßigen Abständen den Beischlaf vollziehen kann. Ohne Gefühle und so. Und das ist auch vollkommen in Ordnung.

Als 29-jährige Akademikerin in der Großstadt ist mein Beziehungsstatus keine Besonderheit. In meinem Bekanntenkreis ist kaum jemand verheiratet oder hat Kinder. Manche sind in Langzeitbeziehungen, manche in kürzeren, manche in gar keinen. Das ist alles vollkommen in Ordnung.

Und dennoch.

Meine Blase ist eine Blase, in der ich mich die meiste Zeit sicher und wohl fühle. Ab und zu muss ich aus dieser Blase heraustreten. Dann muss ich zu Familienfeiern, einmal im Jahr von meiner Oma gefragt werden, ob ich „einen Freund“ hätte. Ab und zu von meiner großen Schwester, verheiratet und Mutter eines kleinen Sohnes, einen mitleidigen Blick ertragen. Noch geht das. Noch bin ich ja erst 29. Das kann ja noch kommen.

Du findest schon jemanden.“ „Irgendwann triffst du den Richtigen.“ Diese Sätze werden fallen, zusammen mit den mitleidigen Blicken.

Hier kommt die abenteuerliche These, die, mit der niemand rechnet, die niemand wahrhaben will und kann. Es soll – ja, man glaubt es kaum – Menschen geben, die keine Beziehung wollen. Nicht nur vorübergehend nicht. Nicht weil sie traumatisiert sind. Sondern einfach so nicht. Es muss dafür keinen guten Grund geben. Manche Menschen sind einfach lieber allein. Das ist heutzutage immer noch ein radikaler Gedanke.

Unsere Gesellschaft liebt sie einfach, die Vorstellung von der romantischen Liebe als dem einen großen Ziel, nach dem jeder Mensch zu streben hat. Wer sie gefunden hat, die wahre Liebe, der hat diese größte Leistung von allen erfolgreich absolviert. Eine andere Person zu finden, die mit einem das gesamte Leben verbringen will, in guten wie in schlechten Zeiten, und so weiter und so fort.

Dieses Ideal der romantischen Liebe wird uns von Klein auf eintrainiert. Im Kindergarten ist es die Prinzessin im Märchen, die am Ende den Prinzen heiratet. Der verliebt sich in sie, weil sie schön, still und bewegungslos in einem Glassarg liegt. Oder auf einem Bett von Rosen umrankt, wo sie auf der wahren Liebe Kuss wartet, der sie aus dem ewigen Schlaf erlöst. Im Teenageralter ist es die Boyband, die mit herzerweichendem Blick davon singt, dass es nur das eine Mädchen für sie gibt. Im Erwachsenenalter die romantische Komödie oder wahlweise der schlecht recherchierte Pseudo-BDSM-Roman, der in Ehe und Kinderkriegen endet. Und der Valentinstag, diese komplett romantikfreie Kommerzschlacht. Und die Parship-Werbung.

Wohin man auch schaut, die ganze Welt scheint anzunehmen, dass es nur diesen einen Lebensentwurf gibt und geben kann. Die traute Zweisamkeit ist die einzige Option.

Dass das auch so bleibt, wird zur Not auch institutionell durchgesetzt. Klar darfst du Single sein. Aber es wäre besser, wenn du verheiratet wärst. Dann dürftest du – dürftet ihr, denn im Singular existierst du nun ja nicht mehr – wesentlich mehr von dem Geld behalten, für das du tagein, tagaus in deinem beschissenen Bürojob schuftest. Kinder sind nicht notwendig. Das Argument, man wolle damit Anreize schaffen, um die Geburtenrate anzukurbeln, ist hinfällig. Der Trauschein ist genug. Das ist, man muss es so nennen, institutionalisierte Diskriminierung gegen unverheiratete Personen. Und auch das trägt zur Normalisierung der Idee bei, dass die Existenz als (monogame, langfristige) Paarbeziehung das einzig akzeptable Lebensmodell ist. Wer sich daran nicht hält, wird de facto bestraft.

Die Ehe hat noch einen weiteren, entscheidenden Vorteil. Sie erlaubt dir, deine nächsten Verwandten wie Eltern und Geschwister durch eine Person deiner Wahl zu ersetzen, die im Fall von schwerer Krankheit oder Tod für dich zuständig ist. Dein*e Gatt*in muss also beispielsweise über lebenserhaltende Maßnahmen entscheiden oder deine Beerdigung organisieren. Wer kein gutes Verhältnis zu seiner Familie hat, kann hiervon durchaus profitieren, denn die Eltern dürfen diese Entscheidungen dann nicht mehr fällen.

Ich habe überlicherweise nicht viel Gutes über die FDP zu sagen, aber dennoch hat einer ihrer Vorschläge mein Interesse geweckt. Und zwar das Einführen einer ehe-ähnlichen Gemeinschaft, bei der man eben diese Pflichten füreinander übernimmt, die aber anders als die Ehe nicht auf einer Liebesbeziehung als Voraussetzung basiert. Die meisten wissen es wohl nicht, aber es gibt Menschen, die aromantisch sind, also sich nicht in andere Menschen verlieben. Sie gehen durchs Leben, ohne dieses Gefühl jemals kennenzulernen. Sollten Menschen, die keine romantische Liebe empfinden oder schlichtweg keine Beziehung wollen, nicht auch das Anrecht haben, sich mit einer anderen Person gegenseitig dazu zu verpflichten, füreinander dazusein – in guten wie in schlechten Zeiten? Es wäre sowieso nur eine Minderheit, die diese Option nutzen würde – die meisten Menschen können sich nach lebenslanger Indoktrinierung ja nichts Schöneres vorstellen, als sich in dem jeweils für ihr Geschlecht vorgeschriebenen Outfit gegenseitig einen Ring über den Finger zu schieben.

Ich will Leuten den Spaß ja auch nicht verderben. Ich will nur einfach keine Angst davor haben müssen, 30 und 35 und 40 zu werden und immer noch keine Beziehung zu wollen und zu wissen: Egal, wie glücklich ich damit bin, die Leute in meinem Umfeld werden mich bemitleiden, weil es für sie unvorstellbar ist, dass irgendjemand keine lebenslange monogame Liebesbeziehung anstrebt.

Und egal, wie oft ich erkläre, dass ich gerne so lebe, es wird ihnen unmöglich sein, mir dies zu glauben. Insgeheim werden sie davon ausgehen, dass ich mir selber etwas vormache. Und ich selber werde mich immer noch fragen, ob sie vielleicht Recht haben. Dass ich versuche, aus der Not eine Tugend zu machen und mir einrede, dass ich das alles selber gewählt habe. Das macht lebenslange Gehirnwäsche mit Menschen – man traut sich selber nicht mehr. Deshalb habe ich diesen Artikel geschrieben, in der Hoffnung, dass vielleicht die eine oder andere Person sich darin wiedererkennt. Es gibt uns – es gibt Leute, die niemals eine Beziehung haben wollen; es gibt Leute, die sich vorstellen könnten, eine Beziehung zu haben, aber es nicht als das ultimative Lebensziel sehen, das sie mit Hilfe von teuren Partner*innenbörsen erzwingen müssen. All das ist in Ordnung. Und lasst euch von niemandem einreden, dass es nicht so ist.

2 thoughts on “Der Zwang zur Zweisamkeit

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert