Reden wir Klartext: Musikgeschmack ist nicht genderlos. Warum? Weil die Musikwelt auch nur eine Branche innerhalb des Kapitalismus ist und Bands sowie Solokünstler*innen Produkte sind, die vermarktet und verkauft werden. Und wie alle Produkte haben auch diese Künstler*innen spezifische Zielgruppen. Gerade Boybands werden gezielt gecastet und geschaffen, um eine junge weibliche Zielgruppe anzusprechen. Einzelne Mitglieder dieser Bands werden sorgfältig ausgewählt, werden gestyled und bekommen ein Image zugeschrieben, das sie nach außen möglichst authentisch präsentieren sollen. Die Liedtexte werden spezifisch auf die Zielgruppe abgestimmt, junge Frauen sollen sich in ihnen wiederfinden und sich mit den Liedern identifizieren. Merchandise wird natürlich ebenfalls genau auf diese Zielgruppe ausgelegt. Alles sehr sorgfältig geplant also.
Und dann werden junge Frauen dafür verspottet und belächelt, wenn sie tatsächlich diese Bands und Künstler*innen hören und Fans werden. Frauen können einfach nicht gewinnen. Gleichzeitig werden natürlich auch die wenigen einzelnen Jungen und Männer nicht ernstgenommen, die Musik, die an Frauen vermarktet wird, mögen, weil ihr Interesse als unmännlich gilt. Und alles, was nicht maskulin, beziehungsweise spezifisch feminin kodiert ist, ist automatisch negativ, weil es in unserer Gesellschaft einfach nicht positiv ist, weiblich/feminin/eine Frau zu sein. Dementsprechend wird auch die Musik der jeweiligen Künstler*innen mit einer weiblichen Zielgruppe abgewertet. Dadurch ergibt sich ein Teufelskreis, aus dem weder Fans noch Musiker*innen und Bands herauskommen.
Für ein gutes Beispiel muss man gar nicht aktuellere Fälle wie BTS oder One Direction anschauen, vor allem, weil auch wir dort vielleicht aus elitärem Gehabe und internalisierter Misogynie automatisch die Nase rümpfen möchten. Nein, es geht einfacher und offensichtlicher: die Beatles. Die Beatles, die als die Bands für junge Teenie-Girls schlechthin galten und über deren Musik und Fans sich die halbe Welt amüsiert hat, bis Jahre später prätentiöse Hipstermänner kamen und die Musik für Kult erklärt haben. Plötzlich hatte der (männliche) Musikkenner von Welt ein Lieblings-Beatles-Album zu haben, während die Mädchen und Frauen, die Teil der „Beatlemania“ waren, auch weiterhin in den Medien als die verrückten, besessenen Tussis, die doch eigentlich nur die Bandmitglieder süß finden, abgestempelt werden. Habe ich erwähnt, dass wir nie gewinnen können?
Denn auch das stereotypische Verhalten junger Mädchen und Frauen auf solchen Konzerten wird ständig belächelt und es wird sich darüber lustig gemacht. Kreischen, weinen, in Ohnmacht fallen, all das ist Ausdruck von Emotionen, die als weiblich und damit armselig und lächerlich kodiert sind. Aber hat irgendjemand sich mal Männer und ihre Lieblingssportmannschaft angeschaut?! Ernsthaft, die sammeln kleine Sammelbildchen ihrer Idole, aber wir sind die Verrückten, die immer übertreiben? Sportstadien sind ständig voller Männer am Rand eines Nervenzusammenbruchs, die das Trikot ihrer Lieblingsmannschaft tragen, aber wenn eine Woche später ein Haufen junge Frauen im gleichen Stadion mit ihren Bandshirts und ihren Glückstränen auftaucht, um Musiker*innen zu sehen, die explizit an sie vermarktet werden, ist das auf einmal wieder etwas ganz anderes.
Natürlich hören Frauen aber auch Musik, die als nicht typisch für sie gilt. (Nicht, dass es so etwas wie typisch weiblichen Musikgeschmack gäbe, ich spreche lediglich von Musik, die nicht ausschließlich an sie vermarktet wird.) Doch wenn Frauen auf diese „untypischen“ – aka oft lauteren und härteren – Konzerte gehen, wird ihnen entweder vorgeworfen, nur da zu sein, weil sie die meist männlichen Bandmitglieder toll finden, oder eben die männlichen Fans. Es ist fast so, als könnte die heteronormative und patriarchale Gesellschaft immer noch nicht begreifen, dass Frauen komplexe Menschen mit Interessen sind, die über die Suche nach dem perfekten Mann hinausgehen. Klar, viele von uns schauen sich gerne hübsche Männer an, aber davon auszugehen, dass das unsere einzige Motivation für alles, was wir tun und mögen, sei, ist doch einfach nur armselig.
Ich weiß genau, dass zu diesem Artikel diverse Kommentare von Männern und Frauen mit ganz schön viel internalisierter Misogynie kommen werden. Diese Kommentare werden sehr in diese Richtung gehen: „Band xy ist aber doch einfach schlecht, ich finde die nicht scheiße, weil Mädchen die mögen, sondern weil die kacke sind!!!1!!11!“
Ich habe euch hiermit die Mühe abgenommen, so einen unnötigen, elitären Kommentar, der einfach nur die legitimen Interessen anderer angreifen soll, zu verfassen. Gern geschehen.
Lady Tea ist ewige Studentin, Veganerin und klassisch extrovertiert. Sie lebt minimalistisch und liebt ihr adoptiertes Shetlandpony. Sie schreibt ungern nüchtern.