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Schlampe, Bitch, Hure, Nutte, Flittchen, Luder. Die Liste der Schimpfwörter mit sexualisiertem Kontext, die sich gegen Frauen* richten, ist lang. Was ich daran spannend finde? Wir reden dauernd über Schlampen – und dabei gibt es diese eigentlich gar nicht.
„Schlampig“ als Wort wurde zum ersten Mal im 14. Jahrhundert in den Erzählungen „The Canterbury Tales“ von Geoffrey Chaucer verwendet. Und zwar, um einen Mann* zu benennen. Das Wort hatte keinen sexualisierten Kontext. Es hat schlicht und einfach einen Menschen beschrieben, der sich schlecht gekleidet und wenig auf sein Äußeres geachtet hat.
Das hat sich leider schnell verändert. Schon im 15. Jahrhundert wurde das Wort „schlampig“ gegen Frauen* gerichtet. Frauen* mit wenig Geld, die als Hausmädchen gearbeitet haben, ohne dabei einen guten Job zu machen, wurden als Schlampen bezeichnet. „Schlamperle“ wird zumindest in der Ecke Deutschlands, in der ich aufgewachsen bin, noch heute verwendet, um ein dreckiges und unordentliches Mädchen* zu benennen. Weil Schlampe aus einem Kontext der Sauberkeit kommt, hießen Staubwedel im Englischen früher übrigens „Schlampen-Wolle“. Und eine Mülltonne: „Schlampen-Eimer“.
Die Beleidigung hatte auch schon immer einen klassistischen und rassistischen Hintergrund. Denn eine wirtschaftlich schlecht gestellte Frau*, die sich nicht gut um einen Haushalt kümmern konnte, erfüllte keinen Sinn in der Gesellschaft. Um ihr das mitzuteilen wurde sie als Schlampe bezeichnet. Das galt allerdings nur für weiße Frauen*. Aufgrund furchtbar rassistischen Grundannahmen wurde einfach davon ausgegangen, dass schwarze Frauen* in ihrer Natur bereits Schlampen seien und deswegen gar nicht erst als solche betitelt werden müssten.
Als Schimpfwort immer beliebter wurde „Schlampe“, als Frauen* das Wahlrecht erhielten und in den Arbeitsmarkt integriert wurden. „Schlampe“ und „Miststück“ werden als Bezeichnung umso häufiger verwendet, desto mehr Unabhängigkeit von Frauen* angestrebt wird. Großartig. Da kann mensch ja nur verlieren.
Heute wird „Schlampe“ nicht mehr im Bezug zu Haushaltsführung, sondern in Abhängigkeit vom (angenommenen) Sexual-Leben einer Frau* verwendet. Der Duden definiert: „Frau, deren Lebensführung als unmoralisch angesehen wird“. Aber seien wir ehrlich, wir wissen doch alle was gemeint ist. Eine Schlampe ist eine Frau*, die mit zu vielen Männern vögelt.
Mir stellen sich so viele Fragen dabei. Heißt das, dass lesbische Frauen* keine Schlampen sein können? Und wie viele Männer sind zu viele? Geht es nur um die Anzahl der Sexualpartner* oder auch darum, wie häufig eine Frau* insgesamt Sex hat? Denn eine Frau* in einer heterosexuellen, monogamen Beziehung kann sexuell sehr aktiv sein – macht sie das dann auch zu einer Schlampe? Woher weiß die Person, welche die Beleidigung ausspricht, eigentlich wie viele Sexualpartner* die Frau* schon hatte? Warum sagt man so oft, dass eine Frau* aussehen würde wie eine Schlampe – wie sieht man denn einer Person bitte an, wie viel Sex sie hat!?
Die Sache ist die: Wir leben in einer Gesellschaft, in der Frauen* selten als Menschen mit eigener Sexualität wahrgenommen werden. Frauen* sind Objekte, Frauen* sind das Ziel der sexuellen Interessen von Männern*. Nicht umsonst zeichnen wir als Teenager Penisse auf Schultische und keine Vulven. Weibliche Sexualität ist in dieser Gesellschaft ein Tabuthema. Und dann kommt da eine Frau* daher, die offen mit ihrer Sexualität umgeht – oder von der du annimmst, dass sie* wechselnde Partner* hat. Und das ist dann krass. Und uns wurde beigebracht, dass das nicht normal ist. Dass wir das abwerten müssen.
Junge Mädchen* und Frauen* bezeichnen andere weibliche Personen als Schlampen, um ihren eigenen sozialen Status zu sichern. Von wegen: Wenn sie eine Schlampe ist und ich das sage, dann kann mir ja nix mehr passieren – dann stehe ich da moralisch drüber. Nee. Tust du nicht. Jedes Mal, wenn du das Wort „Schlampe“ verwendest, reproduzierst du Sexismus und Klassismus und Rassismus. Toll. Ganz große Klasse von dir.
Verschiedene Studien haben übrigens auch gezeigt: Das Sexualverhalten von Frauen* wird wesentlich strenger beurteilt, als das von Männern*. Macht ja auch Sinn. Eine Frau*, die gerne und viel Sex hat (oder von der das zumindest angenommen wird), ist eine billige und dreckige Schlampe. Ein Mann* für den das gleiche gilt, ist ein geiler Stecher, ein cooler Aufreißer und ein Mensch der in seinem Freundeskreis Anerkennung dafür erwarten kann. Urban Dictionary (jaja, ich weiß, großartige Quelle) definiert dazu sehr schön: „Eine Schlampe ist eine Frau mit der Moral eines Mannes.“
Traurigerweise können wir Frauen* in unserem Umgang mit Sexualität nur verlieren. Wenn wir Ja sagen, sind wir Schlampen. Wenn wir Nein sagen, sind wir trotzdem Schlampen, die falsche Signale gesendet haben und einen tollen Kerl in die böse, böse Friend-Zone stecken. Wenn wir keinen Sex außerhalb einer Beziehung wollen, sind wir prüde – wenn doch, dann eben billig. Frauen* verlieren im Diskurs um ihre Sexualität fast immer. Und das schlimmste daran ist: Das ist so völlig sinnlos.
Schlampen gibt es nämlich gar nicht wirklich.
Der Wert einer Frau* steigt oder fällt nicht mit der Anzahl ihrer Sexualpartner. Und Frauen* als Schlampen zu bezeichnen trägt nur dazu bei, ein sexistisches System aufrecht zu erhalten, in dem Frauen* einfach nicht gut weg kommen können. Eine Schlampe ist ein einziges Gedanken-Konstrukt. Wie oft, wann, warum, wo und mit wem eine Frau* schläft, geht dich einfach nichts an. Und wie viel zu viel ist, entscheidet niemand außer der betreffenden Frau* selbst. Also halt dich einfach raus und verkneif dir, irgendjemanden als Schlampe zu bezeichnen. (Auch weil dieses Wort in Deutschland eine strafrechtliche Beleidigung ist. Wenn also nicht für Frauen*, verkneif es dir wenigstens um deiner selbst willen.)
Schlampen sind genauso echt wie Hippogreife, Drachen und das Sandmännchen. Wir wissen alle, was gemeint ist. Wir haben alle ein sehr konkretes Bild im Kopf, wenn der Begriff fällt. Und genauso wie mit allen anderen Fabelwesen, sollten wir uns auch bezüglich Schlampen endlich darüber bewusst werden: Das haben wir uns nur ausgedacht.
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