Filmkritik „Was werden die Leute sagen“: „Ich habe nichts Schlimmes getan!“

Filmkritik „Was werden die Leute sagen“: „Ich habe nichts Schlimmes getan!“

Diesen Satz ruft Nisha immer wieder. Sie wird von ihrem Vater nach Pakistan entführt, weil er sie mit einem Jungen erwischt hat. Das Drama „Was werden die Leute sagen“ läuft seit einer Woche in den deutschen Kinos.

Zum Abschied hält Mirza (Adil Hussain) seiner Tochter Nisha (Maria Mozhdah) eine große Papiertüte Schokoladenkekse hin. Mirza möchte, dass sie im Guten auseinander gehen, denn er liebt sein Kind. So sehr, dass er Jahre zuvor seine Heimat verließ, durch ganz Europa reiste und sogar in einem deutschen Gefängnis inhaftiert war. Er hat es trotzdem nach Norwegen geschafft und dort für seine Familie ein Geschäft eröffnet und sich einen gewissen Wohlstand erarbeitet. Damit seine Kinder es besser haben sollen, damit sie eine gute Ausbildung machen können, damit sie zu erfolgreichen und glücklichen Erwachsenen werden können. Mirza will nur das Beste für sein Kind. Allerdings hat er die 15-Jährige gerade aus Norwegen entführt und gegen ihren Willen zu seiner Familie nach Pakistan verschleppt.

In Norwegen hatte Nisha versucht, den Spagat zwischen traditionellem Familienleben und westlicher Teenagerzeit zu schaffen, hatte sich nachts heimlich aus dem Haus geschlichen, Alkohol getrunken und getanzt. Das doppelte Spiel flog auf, als der Vater sie beim Knutschen erwischte. Der pakistanischen Community ist Nishas Verhalten ein Dorn im Auge. Um andere Jugendliche von einem solchen Verhalten abzuhalten, drängt sie auf abschreckende Bestrafung – und ihr Vater gehorcht.

Mit diesen Grundzutaten könnte dieser Film voller westlicher Empörung eine junge Rebellin präsentieren, die genau weiß, was sie will und an metaphorischen wie realen Gitterstäben rüttelt, um einem archaischen Frauenbild zu entkommen. Danach könnten wir uns total überlegen fühlen mit unserer westlichen Kultur, welche die Freiheit Einzelner so sehr schätzt. Wir könnten einen Film sehen, der kein gutes Haar an traditionell lebenden Menschen lässt und vielleicht sogar ihre Religion für alles Übel verantwortlich macht.

Zum Glück tut der Film nichts davon. Es geht kaum einmal explizit um Religion. Und wenn doch einmal gebetet wird, wirkt das eher wie eine soziale Pflichtübung, der jegliche Spiritualität fehlt. Sie scheint nur ein Vehikel zu sein, über das sozialer Druck ausgeübt werden kann – es ist schlicht wichtig, Beobachter*innen zufrieden zu stellen.
Überhaupt, die im Titel genannten Leute, die irgendetwas sagen könnten. Sie scheinen überall zu sein und Nisha und ihre Familie ständig mit Argusaugen zu beobachten. So ist sie kaum einmal allein: Mit ihrer Tante geht Nisha auf dem wuseligen Markt einkaufen, mit ihrer Cousine teilt sie sich das Schlaflager und in der nächtlichen Stadt halten Polizisten Ausschau nach Umherstreunenden.

Dabei wäre die ständige Kontrolle eigentlich nicht nötig: Nisha ist keine Rebellin im klassischen Sinne. Sie ist eine sehr gute Schülerin und sie liebt ihre Familie. Besonders das Band zu ihrem Vater wirkt zu Beginn des Films. Das ist kein Mädchen, das unbedingt Konflikte mit der eigenen Familie provozieren möchte. Sie ist einfach nur auf der Suche nach ihrem eigenen Platz in der Welt, in der sie aufgewachsen ist.

So wenig Nisha eine Rebellin ist, so wenig sind auch die Menschen um sie herum Monster. Besonders deutlich wird das in der Figur ihres Vaters Mirza. Glaubhaft wird hier ein Vater gezeigt, der innerlich zerrissen ist und völlig verzweifelt angesichts einer Situation, in der er keine Entscheidung treffen kann, die ihm richtig erscheint.
Gleichzeitig wird auch Nishas Mutter nicht als Co-Opfer gezeigt. An allen Handlungen, die sich gegen die Tochter richten, ist sie beteiligt. Beispielsweise ist sie es, die das Mädchen nach dem ersten Zerwürfnis nach Hause lockt und damit die Entführung nach Pakistan erst ermöglicht. Dieser Film ist keine „Arme Frauen gegen böse Männer“-Geschichte, sondern die eines Kampfes gegen ein System, das alle Beteiligten am Laufen halten. Aus Angst vor den Leuten drum herum muss alles versteckt, niedergedrückt oder zerstört werden, was aus der Reihe tanzt, um den Ruf aller anderen nicht zu gefährden.

Dass die Charaktere eine solche Tiefe erreichen, mag daran liegen, dass die norwegische Regisseurin und Drehbuchautorin Iram Haq in „Was werden die Leute sagen“ laut des Instagramprofils zum Film ähnliches erlebt hat: Als sie 14 war, wurde sie von ihren Eltern entführt und gezwungen, für eineinhalb Jahre in Pakistan zu leben. Aus Iram Haqs persönlicher Erfahrung ergibt sich ein Bild des Landes, das sich authentisch anfühlt: Hier wird kein eindimensionales Fantasie-Pakistan erzählt, sondern eigene Erfahrungen und Eindrücke vielschichtig beschrieben. So ist das Leben dort auch nicht nur schlecht: Neben der Härte des sozialen Drucks erfährt Nisha auch Heimeligkeit und große Nähe mit ihren Angehörigen. Nishas Cousine empfängt sie mit offenen Armen, auf dem Dach der Häuser lassen Jugendliche farbenfrohe Drachen steigen und oft wird lustvoll gegessen. Aber diese schönen Momente sind kurz und vergehen viel zu schnell.

„Was werden die Leute sagen“ ist ein Film, der einen nicht so schnell wieder loslässt. Das liegt besonders daran, dass er es sich nie leicht macht: Er ist zwar voller Wut auf die Erfahrungen, die Nisha macht. Gleichzeitig bleibt aber auch Raum für die anderen Figuren, die ihre inneren Kämpfe stets glaubhaft zu vermitteln. Es ist eine Anklage, die sich nicht gegen Einzelne richtet, sondern gegen ein ganzes System, das auf Kontrolle und Unterdrückung baut. Sehenswert – also auf ins Kino!

Foto: Pandorafilm

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