Jetzt sind die Jahre, über die wir später immer reden werden!
Kennt ihr diese Geschichten, wenn ältere Leute von ihrer „wilden Jugend“ erzählen? Von schlaflosen Nächten auf den Dächern von VW-Bussen, von Partys in legendären Studi-WGs, von Demos, die einem das Gefühl gegeben haben, Teil von etwas ganz Großem gewesen zu sein? Und wisst ihr, wie wir alle gedacht haben, dass wir später auch mal solche tollen Erlebnisse gemacht haben werden? Witzige Sache, die Zeit, in der man diese Geschichten sammelt, ist genau jetzt. Trotzdem jagt unsere Generation von Praktikum zu Praktikum, trinkt grüne Smoothies und hat einen 5-Jahres-Plan. Wir sind diszipliniert bis zum Erbrechen, lernen für Klausuren, für die noch gar kein Datum feststeht und sind schon um 8 Uhr morgens mit perfekt gelockten Haaren in der Uni. Wir machen Sport und haben die nächsten sieben Wochenenden schon komplett verplant. Wir haben einen mehrseitigen Lebenslauf, bevor wir das Studium abgeschlossen haben und wir wissen nicht, wann wir das letzte Mal von Alkohol gekotzt haben. Kurz gesagt: Wir sind stinklangweilig.
Generell ist das auch völlig in Ordnung, jede*r sollte sein*ihr Leben nach den eigenen Vorstellungen gestalten. Doch sollten wir nicht so naiv sein, zu denken, dass eine ganze Generation freiwillig und aus reinem Eigenantrieb leistungsorientiert und spießig geworden ist. Stattdessen sind wir das Ergebnis unserer Umwelt, einer Gesellschaft, die uns zu dem macht, was wir sind. Ich sage nicht, dass irgendein Lebensentwurf schlecht oder wertlos ist, stattdessen soll dieser Text zum Nachdenken anregen, denn um bewusst leben zu können, müssen wir auch reflektieren, warum wir so sind, wie wir sind.
Wir leben und arbeiten in einem Rad, das sich gegen uns dreht. Vorherige Generationen haben sich Ressourcen und Möglichkeiten von unserer und kommenden Generationen geborgt, ohne die Absicht, sie je zurückzugeben. Den Meisten von uns ist sehr bewusst, dass wir in einer sehr viel unsichereren, instabileren Welt leben als unsere Eltern. Lebenskosten steigen stärker als Löhne, BAföG gibt es nur in Regelstudienzeit und das Wort Rente verursacht in vielen von uns nichts als Angstzustände. Ach, und lasst uns gar nicht davon anfangen, dass vorherige Generationen nicht nur auf unserem Rücken, sondern auch auf dem der Umwelt gelebt haben. Diese Suppe dürfen wir jetzt auslöffeln, auch wenn es für viele Resultate dieses rücksichtslosen Egoismus natürlich keinen Umkehrbutton gibt. Es ist doch kein Wunder, dass wir ängstlich und leistungsorientiert sind, wenn wir nicht wissen können, wie unsere Zukunft aussieht. Wir greifen verzweifelt nach jedem bisschen Sicherheit und leider kommt Sicherheit nicht in Form von Abenteuern, Auszeiten und Ausschweifungen. Und das Schlimmste daran? Generation Babyboomer & Co. werden nicht müde, uns Millennials Faulheit und die Unfähigkeit zu leben zu unterstellen! Diese Leute sehen nicht, wie hart wir arbeiten, wie wir kämpfen, obwohl sie uns die schlechtesten Voraussetzungen gegeben haben. Die Alten glauben immer noch an den Mythos, dass jede*r, der*die nur bereit ist, hart genug anzupacken, ein gutes, lebenswürdiges Leben hinterher geworfen bekommt und wenn das bei uns nicht der Fall ist, tja, dann werden wir wohl selbst schuld sein, was? Ich kann es nicht mehr hören!
Und als seien die Voraussetzungen, mit denen wir uns im System zurecht finden sollen, nicht schon schlecht genug, ist das System an sich auch noch eine Katastrophe. Wir leben in der Blütezeit des Kapitalismus und dieser erfordert nun mal eine ständige Selbstoptimierung. Wir müssen normschön, gebildet, in etwa 7353394 Bereichen qualifiziert und dazu bitte noch weiß und mit einem Akademiker*innenhintergrund ausgestattet sein. Außerdem sollten wir schon vor dem ersten Abschluss, der selbstverständlich mindestens ein Master zu sein hat, ein Dutzend unbezahlter Praktika gemacht haben, aber auf keinen Fall dabei jemals älter als 23 Jahre alt werden. Gleichzeitig machen Medien uns klar, wie unsere Körper auszusehen haben, damit wir überhaupt davon träumen können, erfolgreich durchs Leben zu gehen. Das Geld, das wir verdienen, stecken wir in Kleidung, Make-Up, Fitnessstudios, Superfoods und Rasierer. Das bisschen Zeit, das uns am Ende des Tages bleibt, verbringen wir mit zupfen, färben, cremen, optimieren. Ich kann nicht die Einzige sein, die es ein bisschen zu viel verlangt findet, dass wir unser Studium in Regelzeit mit Bestnote abschließen, während wir parallel diverse Nebenjobs haben, hervorragend aussehen und am Besten noch französisch gelernt haben. Sprachen lernen ist übrigens ganz toll, aber seien wir ehrlich: Wann haben wir das letzte Mal ein Projekt gestartet, ohne auch nur für einen Moment unseren Lebenslauf und unsere Referenzen im Kopf zu haben?
Und damit kommen wir auch schon zum nächsten Problem: Wenn wir immer nur unsere persönliche Selbstoptimierung im Kopf haben, fällt es uns verständlicherweise schwer, dabei auch noch an andere zu denken. Wenn Ressourcen begrenzt und Praktika rar sind, dann schafft das eine Jede*r-gegen-Jede*n-Mentalität. Uns wird nicht beigebracht, sich über die Erfolge anderer zu freuen, stattdessen regieren Neid und Missgunst. Gleichzeitig fühlen wir uns meist so unsicher und überfordert, dass wir versuchen, uns aufzuwerten, indem wir auf Menschen, die weniger haben als wir, hinabschauen. Solidarität und Gemeinschaft sehen eindeutig anders aus. Wir pendeln zwischen Burnout und Schlafdefizit und dabei fällt es natürlich schwer, andere Menschen als ganzheitliche Wesen mit Bedürfnissen, Wünschen, Träumen und Ängsten wahrzunehmen. Doch geteilte Träume wachsen und stecken an, als vielfältige Gemeinschaft könnten wir viel mehr verwirklichen als allein. Das sind vertane Chancen und Möglichkeiten, die wir jeden Tag verstreichen lassen.
Ach, und wo wir schon bei Träumen und Schlafdefiziten sind: Wo sollen wir neben der Zeit auch noch die Energie finden, unsere Jugend zu genießen? Nach Arbeit, Studium, Ausbildung, Praktika, Hausarbeit, körperlicher Selbstoptimierung und, und, und haben die meisten von uns maximal die Kraft, Netflix anzuschmeißen. Die Revolution passiert jedoch nicht im Praktikum und leider, leider auch nicht beim Netflix-Abend. Was ein Glück für den Kapitalismus.
Lady Tea ist ewige Studentin, Veganerin und klassisch extrovertiert. Sie lebt minimalistisch und liebt ihr adoptiertes Shetlandpony. Sie schreibt ungern nüchtern.
Nur eine Frage zurück….meint ihr wirklich in der Vergangenheit war es einfacher? ..,meine Antwort ist ganz klar nein!
Liebe Nicole,
niemand sagt, dass nicht auch vorherige Generationen Probleme hatten oder Opfer des Kapitalismus sind/waren. Dieses gegenseitige Ausspielen von Problemen und Generationen bringt uns absolut nichts, stattdessen sollten wir doch besser gemeinsam die Revolution anzetteln 😉