Bald sind Wahlen. Demokratie bedeutet auch immer ein bisschen mitmachen müssen. Und auch wenn mensch schnell mal das Gefühl bekommen kann, die eigene Stimme würde keinen großen Unterschied machen: Wählen gehen ist wichtig. Um dir bei der Entscheidung zu helfen, wen du wählen willst, haben wir uns mit verschiedenen Parteiprogrammen auseinandergesetzt. Dabei habe ich mir vor allem die Geschlechter- und Familienpolitik der Parteien angeschaut.
Heute in der ‚Wen wählen?‘-Reihe: FDP – Die Freien Demokraten
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FDP – die Partei der Wohlhabenden und Yuppies?
Mit dem Wahlprogramm der FDP hatte ich mich bisher nicht auseinandergesetzt, da diese Partei für mich persönlich von vornherein keine Option darstellte. Ihre Wahlplakate mögen ästhetisch ansprechend sein, Inhalte sucht man in dieser Kampagne aber eher vergebens. Dabei müsste ich – Ende zwanzig, Akademikerin, berufstätig, Digital Native, Großstädterin – doch genau die Zielgruppe dieser so hip und modern das Smartphone schwenkenden Partei sein, oder? Vielleicht in der Theorie. Jedoch definiere ich mich als politisch viel zu links, um eine neoliberale Partei zu wählen, die freie, unregulierte Märkte und das Recht auf Reichtum und Luxus für die Wenigen anstrebt – kurzum, die ziemlich auf den Kapitalismus abfährt.
Menschenrechte sind schon geil …
Überraschend ist es da auf jeden Fall, dass so manche im Wahlprogramm der FDP geforderte Parole doch ganz schon wohlklingend auf mich linksgrün-versifften Gutmenschen wirkt. Da heißt es „Wir Freie Demokraten halten das Menschenrecht auf Asyl für nicht verhandelbar“ (S. 107) und Obergrenzen für Asylsuchende werden kategorisch abgelehnt. Man fordert „keine Waffenlieferungen in Krisengebiete“ (S. 116) und „mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung“ (S. 67) und spricht sich für Datenschutz und gegen anlasslose Überwachung aus (S. 76f.). Und auch die Ideen der FDP zum Thema Frauen- und LGBTI-Politik lesen sich eigentlich ganz vernünftig, womit sich dieser Artikel schwerpunktmäßig beschäftigen wird.
… reich sein aber auch
Doch so mancher Abschnitt des Wahlprogrammes ist einfach nur als gruselig zu beschreiben. Dass die FDP die Mietpreisbremse ablehnt, verwundert nicht, schließlich ist Profit ihnen wichtiger als erschwinglicher Wohnraum (wobei sie, das muss man ihnen lassen, zumindest eigene Lösungsvorschläge für den Wohnraummangel liefern) (S. 147f.). Die Energiewende will man ebenfalls dem freien Markt überlassen, die Politik soll sich heraushalten, und fossile Brennstoffe sind anscheinend auch ganz cool (S. 135). Außerdem behauptet die FDP zwar ganz dreist, sich für artgerechte Tierhaltung einzusetzen, aber: „Starre ordnungsrechtliche Vorgaben oder zu ehrgeizige Tierwohl-Zertifizierungen überfordern (…) vor allem kleine Landwirtschaftsbetriebe (…)“ (S. 55), aka, Regeln sind kacke und außerdem, Profit!! Besonders besorgniserregend finde ich es persönlich, dass die FDP „Fake News“ offenbar total unproblematisch findet und es für Zensur hält, gegen vorsätzliche Falschinformationen vorzugehen (S. 95).
Digitale Wende ja, Vermögenssteuer nein
Immerhin – die radikale Digitalisierung und Modernisierung aller Lebensbereiche, die sich die FDP auf die Fahnen geschrieben hat, ist eine Forderung, die man wohl bei keiner anderen Partei in diesem umfassenden Maße finden wird. Was diesen Bereich betrifft, stimme ich mit vielen Ideen der Freien Demokraten überein. Gleichzeitig widert mich allerdings auch das Leistungsdenken an, das so gut wie alle Abschnitte des Wahlprogramms durchzieht – Stichwort: „Vorankommen durch eigene Leistung“ (S. 39). Exzellenz hier, „weltbeste Bildung“ dort (S. 21), Einwanderung selbstverständlich nur für auserwählte hochqualifizierte Fachkräfte (S. 69). Jede*r soll die gleichen Chancen erhalten, sich als Rädchen in die Leistungsgesellschaft einzufügen und ein großes Vermögen zu erwirtschaften. Und dieses Vermögen sollte natürlich keineswegs besteuert werden (S. 120, 122), wo kämen wir denn da hin? Schließlich hat der*die Vermögende sich das ja „verdient“, und deren Erb*innen damit automatisch auch, schätze ich. (Falls du beim Lesen denkst: „Ja, stimmt, wo ist das Problem?“, dann ist die FDP evtl. die Partei für dich. Wenn man sich jedoch etwas mit Kapitalismuskritik beschäftigt, stellt sich schon die Frage, warum Manager*innen es vermeintlich „verdienen“, Millionen auf dem Konto zu haben, aber Krankenpfleger*innen zum Beispiel nicht.)
Gleiches Recht auf Reichtum
Die FDP ist für Chancengleichheit von „Frauen und Männern“ (S. 72). (Okay, wir haben bei allem Modernitätswahn nicht wirklich erwartet, dass sie sooo progressiv sind, das binäre Geschlechtersystem anzuzweifeln.) Frauen in Führungspositionen zu bringen, finden die Freien Demokraten erstrebenswert – denn „Frauen sind in der Leitung (…) sehr erfolgreich, und gemischte Teams arbeiten produktiver und erfolgreicher“ (ebd.). In anderen Worten – Gleichberechtigung ist cool, sofern sie der Wirtschaft nützt. Die Frauenquote ist allerdings doof, denn wie wir wissen, ist die FDP gegen jegliche Form staatlicher Einmischung in die freie Wirtschaft (ebd.).
Stark in Sachen LGBTI-Rechte
An dieser Stelle muss ich meinen polemischen Ton mal kurz ablegen: Die FDP sagt wirklich eine Menge vernünftiger Dinge, wenn es um die Gleichstellung von LGBTI-Personen geht. (Anmerkung: Ich verwende hier die von der FDP genutzte Version des Akronyms.) Man spricht sich konkret gegen Homo- und Transphobie aus (S. 94) (andere Teilgruppen des Akronyms sind vermutlich „mitgemeint“). Beispielsweise fordert die FDP die Abschaffung des Blutspendeverbots für schwule und bisexuelle Männer (ebd.), was ich persönlich sehr wichtig und gut finde. Auch Verbesserungen des Transsexuellengesetzes streben die Freien Demokraten an, etwa durch volle Übernahme von geschlechtsangleichenden Behandlungen durch die Krankenkassen (S. 94f.). Außerdem wollen sie sich für eine Rehabilitierung der unter §175 StGB verurteilten schwulen Männer einsetzen (S. 95).
Ich habe mich beim Lesen gefragt, warum sich gerade die „Wirtschaftspartei“ FDP so sehr für die Rechte von LGBTI-Personen stark macht. Man darf jedoch nicht unterschätzen, dass sich in dem Wähler*innenkreis, der Interesse an freier Wirtschaft und dem Schutz von Privatvermögen hat, durchaus auch LGBTI-Personen befinden. Eine erzkonservative Partei wie die CDU/CSU wirkt mit ihrem althergebrachten Familienbild auf diese Menschen verständlicherweise eher wenig attraktiv. Parteien im linken Spektrum gehen hingegen traditionell sehr marktregulierend vor und wollen Vermögen umverteilen. Da bietet die FDP allen finanziell bessergestellten LGBTI-Menschen eine willkommene Alternative.
Familienpolitik: fortschrittlich und unkonventionell
Äußert progressiv zeigt sich die FDP auch in ihren Ansichten zur Familienpolitik. Mich freut besonders die Forderung der Partei, dass es bei lesbischen Paaren, die ein Kind per Samenspende bekommen, ab Geburt rechtlich zwei Mütter geben kann (S. 92). Ebenfalls interessant finde ich den Vorschlag, die „Verantwortungsgemeinschaft“ als alternative Lebensform neben der Ehe einzuführen (S. 94). Somit könnten auch Menschen, die nicht auf Basis einer Verwandtschafts- oder Liebesbeziehung zusammenleben, dieselben Rechte und Pflichten wie Ehepaare füreinander übernehmen, etwa in Bezug auf Steuer- und Erbrecht. Dies soll explizit auch für Verbünde von mehr als zwei Personen gelten. Somit ist die Verantwortungsgemeinschaft, neben etwa asexuellen und aromantischen Personen, auch für polyamore Beziehungen eine sinnvolle Option.
Staatliche Einmischung lehnt die FDP auch bezüglich Reproduktionsmethoden ab und verlangt etwa die Legalisierung von nichtkommerzieller Leihmutterschaft „unter Auflagen“ (S. 94). Ich persönlich stehe dem mit gemischten Gefühlen gegenüber, vor allem, da ich mir nicht wirklich vorstellen kann, dass sich jemand ohne finanzielle Interessen als Leihmutter zur Verfügung stellen würde.
Fazit: Progressiv, doch mit Vorsicht zu genießen
Eins wird klar, wenn man sich das Wahlprogramm der FDP zu Gemüte führt: Die Partei steht für eine radikale gesellschaftliche Modernisierung, bei der insbesondere der Digitalisierung eine große Bedeutung zukommt. Von ihren Ideen profitieren vor allem der freie Markt sowie finanziell bessergestellte Personen, doch auch eine offene und tolerante Gesellschaft gehört zu den Visionen der Partei. Jedoch sollte man sich davon nicht blenden lassen und sich überlegen, ob etwa die Energiewende wirklich allein dem Markt überlassen bleiben sollte, oder ob es gerecht und erstrebenswert ist, quasi alle Bereiche des Lebens nach dem Leistungsprinzip und wirtschaftlichem Nutzen zu bewerten. Nennt mich romantisch, aber für mich sind Menschen mehr als ein Mittel zum Zweck größtmöglichen Wirtschaftswachstums. Und dass aufgrund von individuellen und strukturellen Barrieren nicht jede*r gleich viel leisten kann, selbst wenn er*sie wollte, sollte auch zum Nachdenken anregen.
Feline mag schlechte Wortwitze, queerfeministische Medienkritik und Weißwein. Sie freut sich bereits auf ihr späteres Leben als merkwürdige alte Frau mit sehr vielen Katzen.