Spielen, Zocken, Daddeln – was viele Millionen Menschen heute ganz selbstverständlich Hobby nennen, hatte seine zarten Anfänge in den 70er und 80er Jahren und war noch lange kein Massenphänomen. Heute dagegen spielt man durch alle Alters- und Gesellschaftsschichten digital. Was vor 30 Jahren noch auf monochromen Bildschirmen passierte, ist mittlerweile auf unterschiedlichsten Plattformen, von der Spielekonsole bis zum Smartphone, zu finden. Wir spielen. Zuhause zur Entspannung, unterwegs zur Zerstreuung, allein oder zu mehreren, mit Fremden online oder mit Freund*innen und Familie unter sich. Das Bild vom zurückgezogenen männlichen Jugendlichen, der an Rechner oder Konsole ballert, sollte demnach eigentlich längst überholt sein, denn Gamer*innen sind keine homogene Gruppe. Männer* spielen, Frauen* spielen, Inter- und Transpersonen spielen. Zahlreiche Umfragen gibt es zumindest zur Verteilung zwischen Männern und Frauen. Die Studienergebnisse variieren, aber wir können davon ausgehen, dass zwischen 49 und 52 % der Gamer*innen weiblich sind. Die Hälfte. Das klingt erfreulich ausgeglichen und lässt hoffen, dass Frauen hier als potentielle Zielgruppe ernstgenommen werden und Spiele entsprechend gestaltet sind. Und denkt man daran, dass man immer häufiger auch weibliche Charaktere spielen kann und die Genres breit gefächert sind, könnte man das von außen betrachtet auch vermuten. Leider zeigt sich beim Eintauchen in die Welt der Spiele ein anderes Bild.
Ja, es gibt Spiele, die durchaus auf eine weibliche Zielgruppe ausgerichtet sind. Spiele, in denen es eine weiblich geprägte Community gibt, oder wo das Geschlechterverhältnis ausgeglichen ist. Darunter finden sich viele Smartphone-Spiele oder browserbasierte Spiele, wie sie uns beispielsweise auf Facebook begegnen. Eingefleischte Gamer*innen rümpfen da vielleicht die Nase. Aber ein Spiel ist ein Spiel ist ein Spiel. Spannend wird es, wenn man als Frau* in die vermeintlichen Männerdomänen vordringen will. PC- und Konsolenspiele werden wesentlich stärker von Männern* gespielt als von Frauen* – aber es gibt dennoch Frauen*, die zocken, und eben auch welche, die ballern wollen. Im August 2016 hörte man auf der GamesCom, der größten Spielemesse der Welt, von namhaften Spieleindustrie-Schaffenden noch Sätze wie “Jungs ballern lieber und die Mädels spielen eben lieber sozialer”. Das war noch einer der harmloseren Fälle von sexistischen Aussagen auf dieser Veranstaltung. Die Wahl zum “GamerGirl” ließ vielen Spieler*innen die Augenbrauen in die Höhe schießen. Es ist längst keine Ausnahme mehr, dass Frauen* aus ihren ansozialisierten Rollen herausbrechen und beispielsweise Zerstreuung in Videospielen mit Gewaltdarstellungen suchen. Und das zunehmend. Es ist eine aktive Form des Eskapismus, Entspannung ohne nur Berieselung zu sein.
„Das ist kein Spiel für Frauen“
Doch was heißt es konkret, als Frau* zu spielen, in einer männlich dominierten Umgebung wie dem Konsolenspiel? Ein Ausflug in die Facebook-Community eines MMO-Shooters (MMO= Massive Multiplayer Online, hier treffen sich auf den Spielservern Spieler*innen und spielen mit- oder gegeneinander, mit der Möglichkeit, auch via Headset miteinander zu sprechen) gibt Aufschluss. Schön, dass es eine Community gibt, denkt sich frau, liest Beiträge mit, stellt Fragen, nicht aggressiv, nicht provokant, ganz normal. Doch es reicht oft schon, einfach nur Frau* zu sein, um den Sexismus zu spüren, der dort teils unverhüllt zur Schau getragen wird – nicht von allen, aber von zu vielen. Frauen* wird gesagt “Das ist kein Spiel für Frauen” (aha?) oder “Geh lieber in die Küche”. Beleidigte Jungs, die agieren, als wolle man ihnen ihr Spielzeug wegnehmen. Männer*, die Frauen* Fragen beantworten, werden angegriffen, weil sie angeblich nur einen “Tittenbonus” geben, sie seien eben scharf auf die Mädels. Es ereignen sich Dialoge wie folgender: Ein Spieler regte sich über die verzögerte Datenübertragung (so genanntes Lagging) auf, mit den folgenden Worten: “Dieses Lagging ist so wie eine hässliche Frau: Niemand will sie, aber irgendjemand gibt sich doch damit zufrieden.” Nicht unverständlich, sich da als Frau* als Objekt verstanden zu wissen. Entsprechend fragt man den User, ob er diesen Vergleich nicht unnötig sexistisch fände. Zurück kam in diesem Fall Unverständnis: “Was regst du dich denn auf, du bist doch gar nicht hässlich.” An dieser Stelle bricht man entweder eine Grundlagendiskussion vom Zaun, darüber, dass Frauen* nicht nach ihrem Äußeren zu beurteilen sind, für niemanden schön sein müssen und so weiter. Oder man lässt es einfach, weil man irgendwann müde ist vom ständigen Diskutieren – man will ja eigentlich nur spielen. Viele andere Frauen* in dieser und anderen Communities haben ähnliche Erfahrungen gemacht. In einem wunderbaren Blogartikel auf der Blog-Seite eben genannten Spieles schreibt der fiktive Charakter Tina Titan (Den Blogartikel gibt es hier), wieso sie letztlich eine Community nur für Frauen* gegründet hat. Sie machen eigene Communities auf, um ihre Ruhe zu haben. Nicht nur vor verbalen Angriffen, auch vor lästiger Anmache bis zur Belästigung und vor einer anderen Art der Diskriminierung: Man(n) möchte ihnen “helfen”. “Kein Problem, ich helfe Dir gerne, ich erklär Dir wie es geht” liest man sehr oft als Frau*. Vielleicht nett gemeint. Aber wenn man doch gar nicht nach Hilfe gefragt hat? “Nein, danke, ich möchte nicht gerettet werden, brauch ich nicht.” Wenn Frau* das äußert, muss sie damit rechnen, dass sich der Ritterliche auf den Schlips getreten fühlt, nicht versteht, was sie meint und dann doch noch garstig wird.
Was muss frau tun, um dazu zu gehören?
In männerdominierten Communities hat man drei Möglichkeiten. Erstens kann man es einfach ertragen. Das tun die meisten Frauen*, denn welche Wahl hat man schon, wenn man das Spiel mag? Im besten Fall findet man den Sexismus sowieso nicht so schlimm, denn man ist ja mit ihm groß geworden. Vielleicht witzelt man auch mal mit. Wenn man sich derart fügt, dann finden einen die Jungs im besten Fall total locker. Die zweite Möglichkeit, ernst genommen zu werden, und in die Reihen aufgenommen zu werden, ist die, selbst sehr maskulin aufzutreten. Wenn man ein “ganzer Kerl” ist, sich wenig weiblich gibt und dann auch noch gut spielt (selbstverständlich Voraussetzung, am besten besser als die Kerle, sonst kein Respekt), dann hat man gute Chancen, in den erlauchten Club aufgenommen zu werden. Sich nicht als Eindringling zu fühlen. Last but not least: Das sexy Babe geben, sich als Objekt der Begierde einen Rang erarbeiten. Das bedeutet zwar nicht, dass man als Mensch ernst genommen wird, aber wenn einen alle scharf finden, darf man wenigstens dabei sein. Keine besonders angenehmen Aussichten? Leider ist es für viele Frauen* in der Szene Alltag. Sie werden misstrauisch beäugt, sind Fremdkörper und Störenfriede im einträchtigen Baumhaus des Männerclubs der Zocker. Frauen*, die weiblich daherkommen sind als Akteurinnen nicht erwünscht, es sei denn sie sind sexy.
Frauen*darstellungen in Spielen sind meist patriarchal geprägt
Woher kommt das eigentlich? Neben dem generellen Klima, das in einer patriarchal geprägten Gesellschaft herrscht, werfen wir einen genaueren Blick auf das Medium Spiele. Die meisten Spiele haben gemein, dass Frauen* mehrheitlich nicht diejenigen sind, die agieren. Sie sind nicht die Subjekte, die die Welt formen, in der man sich bewegt. Stattdessen sind sie Objekte. Sie sind die Prinzessin, die man retten muss (der Prototyp dieses Spielprinzips war der Klassiker Super Mario) oder das moderne Äquivalent. Sie sind sexy Beiwerk, die das Auge erfreuen soll, aber die Story gestalten sie selbst kaum. Wenn man in den Genuss kommt, selbst einen weiblichen Charakter zu spielen, dann ist man selbstverständlich schön, schlank und leicht bekleidet.
Intensiv mit dem Thema der Darstellung von Frauen in Videospielen hat sich die kanadisch-amerikanische Feministin, Medienkritikerin und Bloggerin Anita Sarkeesian beschäftigt. Ihre über die Webseite „Feminist Frequency“ veröffentlichte Videoreihe “Tropes vs. Women in Videogames” (Link zur Videoreihe auf YouTube) ist fundiert und voller Beispiele, nicht nur aus älteren, sondern auch modernen Spielen. Und es war eine Zäsur, das so kritisch auf den Punkt zu bringen.
Sarkeesian selbst wurde nach der Veröffentlichung der ersten Videos Opfer einer Explosion frauenfeindlicher Attacken, bis hin zu Vergewaltigungs- und Morddrohungen. Im Rahmen eines umfangreicheren Diskurses, der so genannten GamerGate-Kontroverse wurde sie eines der Hauptopfer massiver Anfeindungen. Sie hatte offenbar einen Nerv getroffen, der Aufschrei war riesig – auf beiden Seiten. Diejenigen, die erleichtert waren, dass diese Missstände endlich mal zur Sprache kamen gegen diejenigen, die die Vorwürfe als haltlos ansahen, Sarkeesian Unprofessionalität und Profilierungswahn vorwarfen und eine Schmutzkampagne gegen sie starteten. Einigen männlichen Spielern und Entwicklern war ihr Vorstoß ein zu großer Angriff auf das Baumhaus. Und sie griff eben vor allem diejenigen an, die Spiele machen, nicht die, die sie konsumieren. Damit sprach sie etwas sehr Wichtiges an, nämlich wo das größte Potential zur Veränderung liegt.
Es gibt natürlich Spiele, bei denen nicht auf Stereotypen wie “Damsel in distress” (junge Frau in Not/Verzweiflung – die verbreitetste Darstellung von Frauen in Spielen) oder “sexy Vamp” zurückgegriffen wird. Beispielsweise kann man auch in die Rolle einer Frau schlüpfen und so das Spiel bestreiten. Oft haben Spieler*innen aber auch die Wahl zwischen männlichen Helden und weiblichen, häufig übersexualisierten Heldinnen. Wenn die Entwickler*innen es mal anders machen, kann man durchaus Spannendes beobachten. Bei dem Action-Adventure “Rust”, das 2013 veröffentlicht wurde, gab es keine Möglichkeit auf Geschlecht noch Hautfarbe des Charakters Einfluss zu nehmen. Bei “Rust” wird beides zufallsgeneriert. Für Frauen* ist es nicht ungewohnt. Wie oft mussten sie schon männliche Charaktere spielen, weil es keine Wahlmöglichkeit gab. Die Identifizierung gelingt einem, vielleicht unter etwas Ärger, aber irgendwann gelingt sie. Dass nun bei einem Spiel wie “Rust” plötzlich Männer* gezwungen waren, Frauen zu spielen, wenn sie auch hätten Männer spielen können – das war neu. Ein Aufschrei ging durch die mehrheitlich männliche Spielergemeinde (einige Kommentare dazu gibt es unter diesem Link zu sehen). Der Hersteller argumentierte damit, dass sich nun im wahren Leben auch niemand sein Geschlecht aussuchen könne, und es gehe in dem Spiel auch ums Überleben und nicht darum, sich einen Wunsch-Charakter zu bauen. Dass sich nur männliche Spieler beschwert haben, lässt wiederum Aufschluss darüber zu, wie entsetzlich es für diese sein muss, eine Frau spielen zu müssen.
Cis-Männer haben die Deutungshoheit, auch über virtuelle Welten, und man hat beim Blick in die Mainstream-Spieleszene den Eindruck, es solle auch so bleiben. Sie formen die Welt, auch die in Videospielen. Frauen* werden zwar Plätze eingeräumt, aber je mehr sie die Welt mitgestalten, in der sie sich bewegen, desto mehr müssen sie sonst klein gehalten werden, zum Beispiel indem sie als Sexobjekte abgestempelt werden. Wer erinnert sich nicht an Lara Croft, deren im ersten Teil noch eher pyramidenförmigen Brüste ein wesentlicher Grund für so manchen jungen Mann waren, sich an dem Spiel zu erfreuen.
Was macht das mit Frauen* und Mädchen*?
Soweit zu den Spielen, die vor allem für ein erwachsenes Publikum entwickelt werden. Bei Kinderspielen, angefangen bei Super Mario über Spiele wie Ratchet und Clank ist es leider nicht viel besser. Mädchen sind oft gezwungen, sich mit männlichen Charakteren zu identifizieren. Das eigene Geschlecht wird ihnen vor allem als hilfsbedürftig, naiv, dumm oder einfach weniger wichtig vorgestellt. Was Frauen und Mädchen dabei lernen, ist die Marginalisierung ihres Geschlechts. Damit stehen Spiele in der gleichen patriarchalen Tradition wie es auch Filme und andere Medien tun. Problematisch ist das vor allem deswegen, weil damit patriarchale Denkmuster und Stereotype reproduziert werden. Videospiele sind ein so großes und einflussreiches Medium geworden, dass sie zweifellos den Blick auf die Welt prägen, den Kinder und auch Erwachsene haben. Die Inszenierungen spielen eine mindestens genau so große Rolle wie Darstellungen in Filmen. Wahrscheinlich eher noch größer, denn durch das aktive Übernehmen einer Rolle in einem Videospiel ist die Identifizierung mit dem Charakter wesentlich größer, als es bei Filmcharakteren der Fall ist.
Innerhalb dieses androzentrischen (männlich-zentrierten) Weltbilds wird schon beim Design von Spielen gerne immer und immer wieder auf die gleichen Charaktertypen zurückgegriffen, und ein Element wie die “Damsel in distress” ist eben auch ein verlässliches Element des Erzählens. Eine Veränderung ist denkbar, wenn sich die Spieleindustrie bewegt, indem sie Frauen*rollen anders schreibt und Geschichten anders erzählt. Den Spieler*innen klar macht, dass es ebenso cool ist, eine Frau* zu spielen, wie einen Mann* (ganz zu schweigen von Inter- und Transpersonen!). Dass Frauen* Subjekte sind, nicht nur Objekte. Ein namhafter Vertreter der deutschen Spieleindustrie sagte auf der GamesCom 2016 dazu, er sehe die Problematik durchaus, doch würden die Spieleschmieden ihr Marketing eben so ausrichten, wie “die Spieler” es wollten. Kann man halt nix machen. Dahinter stehen natürlich wirtschaftliche Interessen: kein Unternehmen der Branche kann sich einen Flop leisten, nur um eines sozialen Experiments willen. Das Umdenken ist an mehreren Stellen notwendig und da ist noch einiges auf den Weg zu bringen. Dass Frauen* auch potentielle Käuferinnen sind, deren Geldbeutel vielleicht lockerer sitzt, wenn sie sich auch als Frauen* gut repräsentiert und ernst genommen fühlen, scheint nicht auf der Agenda zu stehen. Das ist verschwendetes wirtschaftliches und gesellschaftspolitisches Potential. Frauen, die spielen, werden in der Zwischenzeit vor allem eines: müde von der immer gleichen Marginalisierung, der sie sich ausgesetzt sehen.
Hinweise: Verwendete Fachbegriffe werden im Glossar erklärt.
Im Artikel wird zum Teil binär von Männern und Frauen gesprochen, ohne dabei Trans*- Inter*- und sonstige Geschlechtsidentitäten zu nennen. Das geschieht keinesfalls, um diese Personengruppen zu marginalisieren, sondern ist eine Vereinfachung, die die grundsätzliche Problematik des patriarchal geprägten Sexismus verdeutlichen soll. Insbesondere bei den Männern, die in der Gaming Szene sexistisch agieren, handelt sich daneben auch zum überwältigenden Anteil um heterosexuelle cis-Männer. Aus dieser Grundproblematik ergeben sich dann im weiteren auch Diskriminierungen von anderen marginalisiersten Gruppen in der Szene. Da hierzu aber eine anders differenzierte Betrachtung erforderlich ist, wird es einen gesonderten Artikel dazu geben und in dem vorliegenden vor allem von cis-Männern, teilweise aber auch von cis-Frauen ausgegangen. Daher ist nicht durchgängig mit dem Genderstar (*) gegendert.
Vero ist Nerd, Weltverbesserin und manchmal Zynikerin. Meistens ist sie pragmatisch, manchmal ideologisch. Sie hat Respekt für Andersdenkende, aber kein Verständnis für soziale Ungleichgewichte und Ungerechtigkeiten. Deswegen schreibt sie gegen verkrustete Strukturen an und versucht ansonsten, es einfach besser zu machen und ein gutes Vorbild zu sein.
4 thoughts on “Jungs ballern gern, Mädels auch”